Elizabeth - Tochter der Rosen
dass er mich bei meinem Taufnamen nannte. Aber warum sollte er nicht? Ich hatte keinen Titel, war mir nicht einmal sicher, ob ich mich weiterhin »Tochter des Königs« nennen durfte. Einzig eines blieb gewiss: Ich war immer noch Elizabeth.
»Elizabeth ... Wisst Ihr denn nicht? Ganz gleich, was geschieht, mein Herz gehört auf immer dir.«
Er küsste meine Hand zärtlich ... ach, so zärtlich! Ehe mir klar wurde, was ich tat, trat ich näher zu ihm, und dann waren seine Lippen auf meinen und meine Arme um seinen Hals geschlungen. Wieder einmal raste mein Herz, und wieder einmal fühlte ich mich wie in einem reißenden Fluss. Nur war diesmal die Strömung voller süßer Versprechungen und trieb mich sanft durch die sternenerfüllte Nacht.
Schließlich wichen wir auseinander und sahen uns an.
»Nun, da du für niemanden mehr eine Prinzessin bist als für mich, ist alles möglich, meine Liebste.« Er zog etwas aus seiner Brusttasche, das im Mondlicht glitzerte: eine wunderschöne Saphirbrosche in der Form eines Sterns.
»Ich möchte, dass du sie bekommst. Sie gehörte meiner Mutter, Gott schütze ihre Seele!« Er steckte mir die Brosche an und sagte leise: »Sie ist vom gleichen Dunkelblau wie deine Augen.«
Ich schaute hinab auf die Brosche, benommen von einer wilden, köstlichen Freude. Dann führte er meine Hand aufs Neue an seine Lippen, ohne den Blick von meinen Augen abzuwenden. Auch ich sah ihn unentwegt an. Ich wollte, dass dieser Moment niemals endete, dass ich ihn einfangen und für immer festhalten könnte.
Leider wusste ich, wie unmöglich das war.
KAPITEL 6
Von Königen und Prinzen · 1483 – 1484
D ER SOMMER 1483 zog sich träge in die Länge. Thomas war fort, denn er begleitete König Richard und Königin Anne nach Norden zu ihrer Burg in Middleham. Er ließ eine große Leere in meinem Leben zurück. Zugleich wurde meine Mutter trübsinnig, weil sie Dickon vermisste, der immerfort an ihrer Seite gewesen war, um mit ihr zu lachen und sie zu küssen.
»Geht es meinen Söhnen gut?«, fragte sie unsere Kammerzofe täglich.
»Ja, schon«, antwortete diese jeden Tag, »auch wenn sie Euch gewiss vermissen, Mylady. Die Prinzen wurden gesehen, wie sie im Tower-Garten mit Pfeil und Bogen schossen, Gott segne sie!«
Eines Abends Ende Juli wurde im Zwielicht nach der Vesper an unsere Tür geklopft. Ich öffnete und fand mich einem Priester gegenüber.
»Ich bin gekommen, um mit Dame Grey zu sprechen«, sagte der Mann. Er schien mir aufgeregt. Ich trat zurück, und er kam herein. Nachdem er sich ängstlich umgeblickt hatte, schritt er geradewegs auf meine Mutter zu, die am Tisch saß und bei Kerzenschein stickte. Er verneigte sich so tief, als wäre sie immer noch Königin.
»Euer Gnaden, mein Name ist Christopher Urswyck. Ich stehe im Dienste von Lady Margaret Beaufort und wurde in dringlicher Angelegenheit hergesandt.« Er senkte die Stimmezu einem Flüstern. »Im Königreich wird weithin verurteilt, wie man König Edwards Söhne behandelt. Es werden Bemühungen angestrengt, die Prinzen zu befreien und König Richard abzusetzen. Gebt Ihr dem Euren Segen?«
Meine Mutter legte ihre Stickerei ab, und vor lauter Aufregung färbten sich ihre Wangen rosig. »Wer führt diese Rebellion an?«
»Lady Margaret Beaufort ist die Anführerin dieser Verschwörung, Euer Gnaden. Ihr zur Seite stehen ihr Gemahl, Lord Thomas Stanley, dessen Bruder William, ihr Halbbruder John, Lord Welles und auch Edward Courtenay nebst Euren eigenen Verwandten und mehreren anderen Lords. Lady Beaufort möchte Eure Söhne, die Prinzen, aus dem Tower retten, wohin sie gebracht wurden, und sie ins Ausland bringen.«
»Lady Margaret hat meinen Segen«, sagte meine Mutter.
~
König Richard und seine Königin reisten von Middleham nach York, um dort den gesamten Sommer zu verbringen, und so konnte meine Mutter mit ihren Verbündeten Ränke schmieden. Bald war die Verschwörung in vollem Gange: Geheime Briefe wurden gewechselt, verkleidete Boten eilten durchs ganze Land, und Männer mit Waffen sammelten sich an den ausgemachten Stellen. Neben Christopher Urswyck hatte Lady Beaufort noch einen weiteren Komplizen namens Reginald Bray in ihren Diensten.
»Die Angelegenheit konnte schneller vorangetrieben werden, als wir hofften«, berichtete Bray, wobei er sich misstrauisch im Raum umsah. »König Richards Abwesenheit hat sich als überaus hilfreich erwiesen.« Sein Lächeln kam mir seltsam finster vor.
Als die Tage dann
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