Elizabeth - Tochter der Rosen
nach meinem Vater, wurde allerdings von allen nur mit »Ned« angesprochen. Als ein Brief von der Amme des kleinen Ned eintraf, steckten der König und die Königin die Köpfe zusammen, spöttelten über die Neuigkeiten, von denen sie schrieb, und lachten über die Streiche des Kleinen und seine Fortschritte beim Lernen. Am Ende standen einige wenige, recht fehlerhafte Worte von ihm selbst. Die Eltern lobten seine Handschrift und erfreuten sich an seiner niedlichen Ausdrucksweise, kaum dass sie enträtselt hatten, was er ihnen schrieb.
»Ich freue mich darauf, Prinz Edward kennenzulernen«, sagte ich, während ich über meiner Handarbeit saß.
Die Königin bekam einen verträumten Gesichtsausdruck.»Ich kann es gar nicht erwarten, meinen Sohn zu sehen, Elizabeth. Mir ist, als erreichte die Sonne ihren Zenit, wann immer ich sein liebliches Gesicht erblicke.« Sie sah mich an und fügte hinzu: »Eines Tages, wenn du selbst Kinder hast, wirst du es verstehen.«
Richard betrat das Zimmer mit seinem Neffen, Clarences Sohn Edward, an seiner Seite. Wir erhoben uns und machten einen Knicks, doch Richard hatte nur Augen für seine Gemahlin. Er ging geradewegs zu ihr, beugte sich hinunter und gab ihr einen Kuss.
»Ich erzählte den Damen eben von unserer Reise nach Norden, wo wir Ned besuchen wollen«, sagte die Königin.
»Fürwahr, ich dachte schon, es würde nie so weit sein!«, entgegnete König Richard. »Aber endlich habe ich die dringlichsten Staatsgeschäfte erledigt und bin hier, um dir mitzuteilen, dass wir London in zwei Tagen verlassen können.«
Freudiges Murmeln ging durch den Raum.
»D-d-darf ich a-auch mit, Myl-lord Onkel?«, stotterte eine zarte Stimme an König Richards Hüfte. Er sah zu dem Sohn seines Bruders hinab.
Mir quoll das Herz über vor Mitleid, wenn ich meinen kleinen Cousin ansah. Mit seinen rosigen Wangen, den leuchtend blauen Neville-Augen und dem dichten weizenblonden Lockenschopf war Edward, Earl of Warwick, ein wunderschönes Kind und außergewöhnlich freundlich. Doch leider war sein Verstand schwach, und mit seinen neun Jahren begriff er nicht, was die meisten fünfjährigen Kinder mühelos erfassten. Als Onkel George of Clarence starb und ihn als Waise zurückließ, hatte meine Mutter meinen Vater bedrängt, meinen Bruder Dorset zu Edwards Vormund zu machen, und Dorset, dem einzig am Vermögen des Kindes gelegen war, hatte ihn auf eines seiner Landgüter geschickt. Allein, ungeliebt, von allen vergessen und in der Obhut von Fremden, hatte sich der kleine Edward in seine eigene Welt zurückgezogen. Viele führten seinen Geisteszustand auf die Vernachlässigung durch meinen Bruder zurück.
»Natürlich darfst du, Edward. Du glaubst doch nicht, dass wir dich zurücklassen, was?« König Richard wuschelte ihm durchs Haar.
Ich wurde rot vor Scham, aber der junge Edward strahlte, und König Richard und Königin Anne lächelten einander über seinen Kopf hinweg an.
So verging meine erste Woche am Hof. Der König und die Königin brachten jeden Abend gemeinsam zu, sangen, lasen, lachten und spielten mit ihren Hunden. Solch eine Liebe, solch ein glückliches Heim, solche Freude am Austausch von Berührungen, Blicken oder Wangenküssen hatte ich noch nie erlebt, und sehnsüchtig dachte ich an Thomas, den ich zuletzt vor Weihnachten gesehen hatte. Ich hatte ihm geschrieben, jedoch noch keine Antwort erhalten. Anscheinend war er an die schottische Grenze geschickt worden und hatte dort ein hohes Kommando inne, weil sein Bruder Humphrey Stafford nun einer von König Richards Anhängern und ein vertrauenswürdiger Verbündeter war.
Eines Tages, sagte ich mir und befühlte Thomas’ Saphirbrosche, die ich immerzu trug, wenn König Richard mich auf eine Heirat anspricht, werde ich ihn bitten, Sir Thomas Stafford heiraten zu dürfen . Vielleicht würde auch ich dann ein Heim wie ihres bekommen, voller Glück und Heiterkeit.
~
An einem grimmig kalten Märztag machte sich die königliche Entourage auf den Weg nach Yorkshire. König Richard wurdevon seiner Königin, einigen Lords sowie einem Tross von Bischöfen, Richtern und Amtsmännern seines Haushalts begleitet. Wegen der Kälte waren kaum Leute auf den Straßen, und den wenigen Neugierigen fiel auf, dass es keine große bewaffnete Eskorte gab. Als König Richard diese Bemerkung hörte, erklärte er laut: »Meine Herrschaft baut auf Treue, nicht auf Gewalt.«
Was für ein freundlicher und edler König er ist!, dachte ich.
Als wir durch
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