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Elizabeth - Tochter der Rosen

Elizabeth - Tochter der Rosen

Titel: Elizabeth - Tochter der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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der Empore.
    »Die Countess of Warwick«, murmelte Jack. »Sie verlässt Middleham nie   ... weicht ihrem Enkel nicht von der Seite.«
    Mir fiel auf, dass Jack sehr blass geworden war. Er blickte zu dem König und der Königin, und ich schaute ebenfalls hin. Beide waren wie erstarrt. Sie hielten die Augen fest auf die Countess gerichtet; ihre Gesichter waren gespenstisch weiß.
    Die Königinmutter trug einen schwarzen Umhang über einer schwarzen Robe und keinerlei Schmuck. Mit kummerverzerrter Miene schlurfte sie durch die Halle. Ihre dunkle Gestalt bildete einen verstörenden Kontrast zu den schillernd bunten Seiden- und Samtroben der anderen Gäste. Die Minnesänger brachen ihr Lied ab, und Stille senkte sich über den Saal. Alle traten beiseite, um die Countess durchzulassen. Sie erreichte die Empore und blieb vor ihrer Tochter und König Richard stehen. Merklich überwältigt von Gefühlen, rang sie nach Worten. So langsam, dass man die Bewegung kaum wahrnahm, erhoben sich der König und die Königin von ihren Stühlen.
    »Ned«, sagte die Countess, »unser wunderbarer Junge   ... ist tot.«
    » Nein! «, rief König Richard mit blutleeren, bebenden Lippen. Er trat zurück, worauf sein Stuhl krachend umkippte. » Nein! O   Gott, Gott, nein   ... «
    Er bedeckte seine Ohren und sah aus, als würde er auf die Knie sinken. Stolpernd ging er zur nächsten Wand und hielt sich am Kaminsims fest, als seine Beine unter ihm nachgaben. Königin Anne stieß einen gedehnten Gurgellaut aus, stürzte sich einer Wahnsinnigen gleich von der Empore und rannte wie ein gefangenes Tier von einer Wand zur nächsten, bis sie vollends außer Atem war. Dann blickte sie sich hektisch um, streckte die zitternden Hände aus und taumelte vorwärts. Nach wenigen Schritten sank sie ohnmächtig zusammen.
    ~
    Die Countess kümmerte sich um ihre Tochter, die sich auf ihrem Bett hin und her wälzte und nach ihrem Sohn schrie. Ihr Gemahl saß neben ihr auf einem Stuhl, hielt ihre Hand und trauerte stumm. Jedes Mal, wenn die Tür zu ihrem Gemach geöffnet wurde, weil ein Diener herauskam oder hineinging, erhaschte ich einen Blick auf die beiden, und es brach mir das Herz.
    Wie schrecklich ist es für ihn, König zu sein, einen Erben zu verlieren und weiter den Pflichten nachgehen zu müssen, als wäre nichts geschehen!, dachte ich. Er hatte zwei Tage lang alles ruhen lassen, doch bald schon verlangten seine Aufgaben wieder nach ihm. Der Gedanke machte mir die Brust eng. In seiner Trauer achtete König Richard nicht auf sein Äußeres, er wirkte ungepflegt und übernächtigt, gar nicht wie ein König und erst recht nicht wie der König Richard, den ich einen Monat zuvor kennengelernt hatte. Seit zwei Tagen hatte er sich nicht mehr rasiert und nicht gebadet. Sein weißes Hemd war fleckig, zerknittert und oben am Hals offen. Die Bartschatten machten seine strengen Züge noch härter, und mit kummergepeinigten grauen Augen betrachtete er seine Frau. Manchmal bewegten sich seine Lippen, ohne dass Worte herauskamen. Eines Tagesjedoch hörte ich ihn nach Atem ringen, die Augen schließen und murmeln: »Vergib mir, Anne   ... Vergib mir!«
    Ich begriff nicht, welche Verfehlung er sich vorwarf.
    Zusammen mit den Ärzten und Dienern, die sich des Königspaares annahmen, hielt sich die Countess im dämmrigen Gemach auf. Alle bewegten sich wie Geister, brachten Essen und Trinken, das unangerührt wieder abgetragen wurde. Von Zeit zu Zeit verließ die müde alte Frau das Zimmer, schloss behutsam die Tür hinter sich und sank auf die Fensterbank im Vorzimmer. Mal schloss sie die Augen, mal starrte sie hinaus in die dunkle Nacht. Die Ärmste hatte schon manchen Kummer in ihrem Leben durchleiden müssen. Sie war jung verwaist, hatte eine Tochter begraben und die Zerstörung des großen Hauses Neville miterlebt. Und dennoch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Trauerfall sie stärker erschütterte als alle vorherigen.
    Es verschlug mir beinahe den Atem. Sie haben nicht bloß ihr Kind verloren , ging es mir durch den Kopf, als ich die schlafende Königin in ihrem Bett betrachtete und auf den in stiller Pein neben ihr sitzenden König zuging. Sie haben ihre Zukunft und ihre Hoffnung verloren.
    Wir begaben uns auf den Weg nach Middleham. Der König ritt unserer traurigen Prozession einsam voran. Immer wieder drehte er sich besorgt zur Sänfte mit seiner Königin um. Ich sehnte mich danach, zu ihm zu reiten, seine sonnengebräunten Hände zu

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