Elizabeth - Tochter der Rosen
ergreifen und ihn zu trösten.
Die Leute aus Nottingham hatten sich versammelt, um uns vorbeireiten zu sehen. Einige bekreuzigten sich und wischten sich Tränen ab, während andere mit versteinerter Miene dastanden. Seit Neuestem wurde geredet, dass es göttliche Vergeltung wäre, denn Ned – König Richards zehnjähriger Edward – war am Jahrestag seines Namensgebers, meines Vaters Edward IV .,gestorben, überdies im selben Alter wie einer meiner Brüder.
Ich war außer mir vor Entsetzen. Nein!, wollte ich den Leuten entgegenschreien. König Richard ist unschuldig. Mein Bruder Richard lebt! Aber da ich es nicht durfte, ritt ich schweigend weiter. In der Nähe eines Dorfes sahen wir junge Mädchen auf einer Wiese um einen Maibaum tanzen. Sie waren zu weit entfernt, als dass wir ihren Gesang hören konnten, und ihre Heiterkeit berührte uns ohnehin nicht. Wir reisten langsam. Am sechsten Mai erschien Middleham Castle vor uns. Durch eine Wolkenlücke schickte die Sonne einige Strahlen herab und tauchte die schwarz verhangene Burg in ein befremdliches Perlmuttlicht.
»Heute ist Neds Geburtstag«, sagte König Richards Sohn, Johnnie of Gloucester.
Alle, die es hörten, schwiegen bedrückt. Ich wollte nicht glauben, dass das Schicksal so grausam sein konnte, einen Vater zu zwingen, seinen Sohn an dessen Geburtstag zu beerdigen.
Für König Richard und Königin Anne nahmen die schmerzlichen Nachrichten kein Ende. Ned war nicht nur gestorben, ohne dass einer von ihnen bei ihm hatte sein können; sie mussten auch noch mit dem Wissen leben, dass er gelitten hatte. Königin Anne saß auf ihrem aufwendig gedrechselten Stuhl auf der Empore in der großen Halle von Middleham Castle und hielt Neds abgegriffene Samtdecke in den Händen, während König Richard steif neben ihr stand und mit aschfahler Miene den Ärzten, Geistlichen und Dienern lauschte, die ihnen die furchtbaren Einzelheiten von Neds Ableben schilderten.
Am Ostermontag hatte Ned nach einem angenehmen Abendessen und anschließender Musik plötzlich über Bauchschmerzen geklagt, und die Ärzte konnten nichts für ihn tun. Am Ende hatte er starke Schmerzen gehabt und nach seiner Mutter geschrien. Ich blickte zu der Königin, die mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl schwankte. Am nächsten Tag war Ned gestorben.
König Richard trug Königin Anne fast aus dem Raum, denn sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. In ihrem Schlafgemach, wo Ned mit ihnen so oft Schach gespielt oder Gedichte gelesen hatte, saß Johnnie mit Clarences Sohn Edward am kalten Kamin. Beide hockten mit stark geröteten Augen und tränennassen Wangen auf dem Boden und streichelten Neds Hund, Sir Tristan. Die anderen Hunde schauten ihnen regungslos zu. Ja, selbst die Tiere trauerten um Ned, wie sie dort lagen, die Schnauzen flach auf dem kalten Fliesenboden und einen wissenden, kummervollen Ausdruck in den Augen. Richards Rüstung hing unter einem Gobelin, auf dem die Belagerung Jerusalems dargestellt war. Clarences Tochter Margaret und Cat, Richards Kind der Liebe, knieten ganz in Schwarz auf dem Betstuhl.
An der Schwelle zum Zimmer hielten der König und die Königin inne. Direkt gegenüber von ihnen, gleich hinter dem Fenster, stand die hohe Ulme, in der Neds Bogen-Zielscheibe hing. Zögerlich standen die beiden Jungen auf, schauten ebenfalls in die Richtung und sahen den Baum. Sie brachen erneut in Tränen aus. Der junge Edward of Warwick lief auf das Königspaar zu und umklammerte Annes Röcke. »M-Mylady ... T-Tante«, brachte er mühsam heraus, unfähig, sein Stottern zu beherrschen, »w-warum musste N-Ned gehen? W-Weiß Gott denn nicht, d-dass ich f-für ihn ge-gegangen w-wäre?«
Königin Anne sank weinend auf die Knie, drückte das Kind ihrer Schwester an ihre Brust und breitete einen Arm für Johnnie aus, der gleichfalls zu ihr gerannt kam. Auch Cat und Margaret eilten zu ihr, und König Richard kniete sich neben sie, um alle mit seinen starken Armen zu umfangen. Gemeinsamweinten sie, ausgenommen Richard, der mit leerem Ausdruck über ihre Köpfe hinwegblickte.
König Richard fiel die Aufgabe zu, das Begräbnis seines Kindes zu arrangieren, wohl wissend, dass diese Tortur seine Königin umbringen könnte. Sie wurde in einer Sänfte getragen, neben der ich herritt, und hustete, dass man glaubte, es zerrisse ihr die Brust. Ängstlich sah ich zu Cat, die an meiner Seite ritt. Ihr Vater hatte seinen einzigen Sohn und Erben verloren und drohte nun, seine Gemahlin zu
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