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Elke versteht das

Titel: Elke versteht das Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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hätte Elke wissen müssen, dass dieser Klassiker der sensiblen Frauenliteratur bei Schmalenbach ganz irrationale Abwehrmechanismen
     hervorrief.
    »Ich will aber ›Moby Dick‹ lesen!«
    »Deck schon mal den Tisch! Es gibt gleich zu essen.«
    Doch Schmalenbach wollte lesen und nicht essen.
    »Die Nudeln sind schon fast zu weich«, gab Elke bekannt. »Also beeil dich!«
    »Erst meinen ›Moby Dick‹!«
    Elke war nicht sehr kompromissbereit, wenn es um ihre Gorgonzolasoße ging. »Erst wird gegessen, dann kümmern wir uns um deinen
     Walfisch!«, sagte sie und brachte die Nudeln auf den Tisch.
    Schmalenbach lief das Wasser im Munde zusammen. Aber er wusste, was er sich schuldig war. Sich und Melville und der Weltliteratur.
    »Wenn du deine Freundin Erika nicht anrufen willst, dann tue ich das eben!«, erklärte er schnaubend und ging zum Telefon.
    Eine unfreundliche Männerstimme meldete sich. »Was gibt’s?«
    »Kann ich bitte mit Erika sprechen?«
    »Hier gibt’s keine Erika.«
    Aha, dachte Schmalenbach, wer so unfreundlich ans Telefon geht, der hat ein schlechtes Gewissen.
    »Es geht um das Buch, das Erika bei Elke ausgeliehen hat. Elke ist meine   …«
    »Elke? Ist das nicht die, die mit diesem bescheuerten Typen zusammen ist? Ich lache mich jedes Mal schief, wenn Erika von
     dieser Elke und ihrem Spinner erzählt.« Ein schwieriger Fall – dieser Eberhard. »Vielleicht liegt der Band ja irgendwo bei
     Ihnen rum   … ›Moby Dick‹ von Herman Melville.«
    »Hier liegt kein Buch rum. Hier wird täglich aufgeräumt. Zumindest war das so, so lange diese Nervensäge hier gewohnt hat.«
    »Möglicherweise hat Erika mein Buch bei ihrem Auszug ja mitgenommen   …«
    Eberhard überlegte. »Sie hat die Katze mitgenommen und ihre schwarze Unterwäsche. Den Rest habe ich sichergestellt.«
    »Und da ist kein Buch dabei? ›Moby Dick‹?«
    »Wie sieht dieses Buch aus? Was ist vorne drauf?«
    Na also, unter Männern musste man nur Klartext reden. »Ein Walfisch   … wie er gerade bläst.«
    »Wie er was?«
    »Er stößt eine Fontäne aus.«
    »Ist nicht wahr. Und worum geht es in diesem   …«
    »›Moby Dick‹? Um einen Walfänger-Kapitän mit Namen Ahab. Er hat ein Bein auf dem Meer verloren und verfolgt nun verbissen
     einen weißen Wal, den er für sein Ungemach verantwortlich macht. Ein Kampf auf Leben und Tod vor dem Hintergrund der übermächtigen
     Natur. Mann gegen Wildnis sozusagen. Aber ich komme gerade ins Schwärmen   …«
    »Reden Sie weiter! Nur weiter!«
    »›Ich würde auch nach der Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt.‹ So lautet ein bekannter Ausspruch von Ahab. Ein packendes
     Buch. Vielleicht eines der letzten großen Werke für den männlichen Leser. Für den echten Mann. Und dabei nicht plump aktionistisch.
     Eine sehr raffinierte, intellektuell höchst anspruchsvolle Saga über das alte Thema   …«
    »Welche Note?«
    »Was?«
    »Welche Note würden Sie dem Buch geben? Auf einer Skala von Eins bis Sechs.«
    Obwohl Schmalenbach solche Kategorisierungen in der Literatur strikt ablehnte, sagte er entschlossen: »Eins plus.« Eberhard
     war begeistert. »Und es ist ein Bestseller?«
    Jetzt verstand Schmalenbach, wie der Hase lief. Dieser literarische Schmarotzer wollte mit seiner Kurzkritik auf der nächsten
     Party glänzen.
    »Unter den aktuellen Neuerscheinungen steht ›Moby Dick‹ ganz oben.«
    Eberhard hatte genug gehört. »Sollte das Buch auftauchen, schicke ich Ihnen eine Mail.« Dabei hatte er nicht mal Schmalenbachs
     Mailadresse.
    »Grüßen Sie Erika von mir!«, sagte Schmalenbach noch. Doch Eberhard hatte schon aufgelegt.
    Elke räumte gerade ab. Sie war sauer. »Gorgonzolasoße schmeckt nur, solange sie noch heiß ist«, fauchte sie.
    Schmalenbach hatte wieder bessere Laune – wenn dieser Eberhard beim nächsten Cocktailempfang mit Melvilles jüngstem Roman
     zu glänzen versuchte, würde er sich eine blutige Nase holen: »Moby Dick« war mittlerweile über 150   Jahre alt, und Eberhard behandelte das Buch wie eine Neuerscheinung. Ein feiner Kritikerpapst.
    »Dann nehme ich mir jetzt mal dein ›Salz auf unserer Haut‹ vor«, sagte Schmalenbach und ging ins Schlafzimmer.
    Doch Elke war ihm zuvorgekommen. Sie saß bereits über der Lektüre ihres Lieblingsbuches.
    »Und?«, fragte Schmalenbach aufgeräumt.
    »Was und?«
    »Ist es gut?«
    »Was?«
    »Dein Buch.«
    Elke klappte »Salz auf unserer Haut« zu. »Ich lese dieses Buch mindestens jedes Jahr einmal.

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