Elkes Sommer im Sonnenhof
„Mein Vater läuft sich
die Hacken ab, um wieder bei irgendeinem Orchester unterzukommen, aber er hat
niemals Glück. Vielleicht liegt es am Rundfunk, daß er nichts findet.“
„Wieso?“ fragte Elke.
„Ja, weißt du, wo früher eine ganze Musikkapelle
spielte, da wird jetzt manchmal einfach der Lautsprecher angestellt.“
„Ach so!“ Elke kam jetzt auf ihr Angebot von
vorhin zurück. „Ich will sticken helfen“, sagte sie und breitete einen Zipfel
von Emilies großer Decke vor sich aus. „Hast du auch Lust, Katje?“
Katje nickte.
„Gib uns Nadel und Garn! Wir werden’s schon
fertigbringen, daß wir gut genug sticken“, sagte Elke freundlich.
„Heute habt ihr aber keine Zeit mehr“, wandte
Achim ein mit einem Blick auf die nahe Kirchturmuhr. „In einer halben Stunde
essen wir Abendbrot.“
„Morgen sticken wir aber bestimmt mit!“ sagte
Elke.
Und die beiden hielten Wort. Zwei Nachmittage
lang saßen sie mit ihrer Freundin Emil in der Lindenlaube und stickten bunte
Rosen und grüne Blätter.
Dann hatte Elke es satt.
„Das ist so nichts!“ sagte sie abends im Bett zu
Katje. „Acht Mark! Man kann sich ja totsticken, bis man das bißchen Geld
zusammen hat. Das beste wäre, wenn Emils Vater wieder eine Stellung hätte!“
„Natürlich wäre es das beste!“ stimmte Katje
bei. „Aber was will er denn machen, wenn er keine findet? Er kann gut Violine
spielen und hat auch eine gute Ausbildung, sagt Emil.“
„Du, ich verstehe aber eigentlich doch nicht,
warum der Rundfunk schuld sein soll“, meinte Elke nun. „Dort brauchen sie doch
auch Geiger!“
„Aber wohl nicht so viele“, erwiderte Katje.
„Im Radio spielen auch große Orchester.“
Elke begann plötzlich in ihrer
Nachttischschublade zu kramen, und nach einer Weile riß sie aus einem ihrer
Schulhefte eine Seite heraus.
„Willst du was schreiben?“ fragte Katje
verwundert.
„Ja. Ich finde, Emil muß einen Brief an den
Rundfunk schreiben, damit ihr Vater dort eine Stellung bekommt!“
Elke war begeistert von ihrem Gedanken und
überlegte, wie so ein Brief wohl ungefähr lauten müßte.
„Das ist Quatsch!“ erklärte Katje. „Kinderbriefe
werden gar nicht beantwortet.“
Elke ließ sich nicht entmutigen. „Vielleicht
doch!“ sagte sie. „Wir müssen uns nur Mühe geben mit dem Brief. Mein Vater hat
mal gesagt, daß er einen Buchhalter nur deshalb genommen hat, weil er so nett
geschrieben hat.“
„Laß deinen Vater doch Herrn Rohwedder ins
Geschäft nehmen!“
„Das habe ich auch schon zu Vati gesagt; aber er
sagt, daß es nicht geht, weil Emils Vater Musiker ist.“
Katje drehte sich auf die andere Seite.
„Du wirst sehen, daß der Brief an den Rundfunk
nichts nützt“, sagte sie und war ein paar Augenblicke später eingeschlafen. Sie
und Ali schnarchten um die Wette.
Elke lag da und versuchte, ein Bittschreiben zu
entwerfen. Aber sie kam nicht über den Versuch hinaus. Als sie sich nämlich
überlegte, wie sie die Notlage des Herrn Rohwedder und seiner Familie recht
eindringlich schildern könnte, da merkte sie, daß sie dazu nicht in der Lage
war. Sie mußte erst mit Emil sprechen. - -
Die Freundin war von Elkes Plan, einen Brief an
den Rundfunk zu schreiben, zuerst genausowenig begeistert wie Katje. Als Elke
ihr dann aber in ihrer Hartnäckigkeit keine Ruhe ließ, gab sie schließlich
nach.
Der Brief wurde ganz heimlich geschrieben, und
nicht einmal Achim wurde ins Vertrauen gezogen.
Eines Nachmittags war es endlich soweit, daß er
in den Postkasten geworfen werden konnte. Es war erhebend und beängstigend
zugleich, ihn plumpsen zu hören. Kopfzerbrechen genug hatte er ihnen gemacht,
denn Emil hatte nicht gewollt, daß es ein Bettelbrief werden sollte, und hatte
Elkes oft allzu rührselige Vorschläge entrüstet zurückgewiesen. Richtige kleine
Streitereien waren dabei entstanden.
Aber das war jetzt alles vorbei. Wenn der Brief
nur etwas nützte!
Emilie war so sehr von Hoffnung beseelt, daß sie
einige Tage lang ihre Stickerei vernachlässigte. Sie kam zwar nicht zum
Ritterspielen auf den Sonnenhof, aber sie forderte Elke und Katje auf, mit ihr
da- und dorthin Botengänge zu machen.
Heute zum Beispiel sollte sie beim Schäfer
Hinnerk Eier holen.
Achim kam auf solche Gänge nicht mit, und das
war Emilie nur angenehm, denn er wußte ja nichts von dem Brief, und man konnte
ihn in seiner Gegenwart deshalb nicht erwähnen. Und es war doch so schön, von
ihm zu reden und davon zu träumen, daß
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