Elkes Sommer im Sonnenhof
etwas. Wenn ich nur wüßte,
was!“
„Sollen wir vielleicht wieder singen?“ fragte Elke.
Die Tochter beugte sich nieder, um Elkes Frage
dem Vater ins Ohr hinein zu wiederholen. Er verstand sie sofort, und sein
zahnloser Mund lächelte glücklich.
„Ja, das war es“, sagte die Frau zu den Kindern.
Dann saßen Elke und Katje wieder wie am Tag vorher
auf der schmalen Bretterbank vor dem Stubenfenster und sangen. Achim stand
etwas abseits an den Stamm eines alten Holunderbusches gelehnt. Die blühenden
Linden dufteten, und die schrägen Strahlen der niedersinkenden Sonne hüllten
Flecken, Wiesen und die fernen Häuser in einen friedevollen, rosenroten
Schimmer.
Elke und Katje sangen heute noch schöner und
inniger als gestern, denn sie fühlten, daß der alte Hinnerk sehr krank war, und
ihre Herzen waren erfüllt von dem Wunsch, ihm etwas Liebes zu tun. Beide sahen
wie träumend aus, wie weit entrückt in eine andere Welt. Elke hielt den Kopf
leicht zur Seite geneigt, und Katjes Kopf lag im Nacken, beide blickten hinauf
in den von rosa Wölkchen übersäten Himmel.
Sie boten einen schönen Anblick, wie sie so in
ihrer Selbstversunkenheit dasaßen. Ein Maler hätte dasein müssen, der das Bild
festhielt.
Und wirklich war ein Maler da, der sich an den
Kindern freute. Elkes Onkel Bernhard war endlich auf dem Sonnenhof angekommen,
und da Herr und Frau Wendel an diesem Nachmittag gerade nicht zu Hause waren,
hatte er sich sagen lassen, wohin die Kinder gegangen waren. Er hatte Hinnerks
Kate gefunden und war ganz leise ans Haus herangetreten, als er das Singen
gehört hatte. Er stand jetzt so, daß die Kinder ihn nicht sehen konnten.
Er zog aber nicht das Zeichenheft aus der
Tasche, das er immer bei sich trug, sondern stand regungslos und war von einer
großen Freude erfüllt. Das, was Elke und Katje sangen, hörte sich so
wunderschön an, als wenn der Sommerabend selbst mit seinem Lindenduft und
seinem goldroten Licht Melodie geworden wäre.
Plötzlich knarrte die Tür von Hinnerks kleiner
Küche, und die Tochter des Schäfers trat aus dem Haus. Sie sah den fremden Mann
stehen, beachtete ihn aber gar nicht und ging um die Ecke des Hauses herum. Sie
drückte sich einen Zipfel ihrer blauen Schürze vor die Augen und winkte den
Kindern mit der Hand, zu schweigen.
„Vater ist eingeschlafen“, sagte sie leise. „Es
ist ein schöner Tod für ihn gewesen. Er hat so gern gehört, wie ihr gesungen
habt.“
„Hinnerk ist tot?“ fragte Elke mit erschreckt
geweiteten Augen. Dann sah sie ihren Onkel Bernhard näher kommen, und schon lag
sie wortlos in seinen Armen.
Später, als die drei Kinder und der Maler auf
dem Nachhauseweg zum Sonnenhof waren, sagte Elke traurig: „Ich habe Hinnerks
Bett mit der Glückslocke bestrichen, aber es hat doch nichts genützt.“
Der Onkel legte seinen Arm um Elkes Schulter. „Doch,
Elke. Der alte Schäfer ist friedlich und schön eingeschlafen. Was kann man ihm
Besseres wünschen? Und auch euch selbst ist ein Glück geschenkt worden; das
versteht ihr nur jetzt noch nicht so. Wenn ihr einmal groß seid und an diesen
Abend zurückdenkt, werdet ihr dankbar sein, daß ihr dem braven alten Mann durch
euer Singen seine letzte Stunde verschönen durftet.“
Elke antwortete darauf nicht. Ihre Augen waren
tief dunkelblau und voll Nachdenklichkeit.
DER FEIND
MAX
Elkes Onkel blieb vier Tage im Sonnenhof, und es
war eine herrliche Zeit für die Kinder. Die Sommerferien hatten gerade
begonnen, und sie konnten mit dem ganzen Tag anfangen, was sie wollten. Onkel
Bernhard machte alles mit, was sie sich von ihm wünschten. Nur reiten konnte er
leider nicht. Dafür verstand er aber großartig, Achims und Elkes Reitkünste zu
bewundern. Nein, wie die beiden prachtvoll im Sattel saßen und ihre Pferde auf
den Reitwegen rund um den kleinen Badesee tun ließen, was sie von ihnen
verlangten! Natürlich gaben sie sich auch die allergrößte Mühe, einen recht
guten Eindruck zu machen.
Mit den Wasserpferden war es etwas anderes. Da
stand — oder besser gesagt: ritt — auch Onkel Bernhard seinen Mann. Katje, die
Inhaberin des „Blauen Bandes vom Sonnenhofer Wasserpferdewettrennen“, konnte
froh sein, daß nicht zweimal im Jahr Rennen war; denn Onkel Bernhard paddelte
auf seinem Wasserroß mit einer solchen Geschwindigkeit durch die Fluten, daß er
in jedem Rennen gesiegt hätte, auch wenn er seinen Gegnern einen großen
Vorsprung zubilligte.
Auch bei den Ritterspielen machte
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