Ella Vampirella
Ella grübelte. Es war besser, eine Nachricht an Tante Esmeralda zu schicken. Vielleicht konnte Esmeralda sie mit einem Wagen abholen.
Ja, das war es. Ella setzte sich auf eine Bank, die nicht zu dicht am Wasser stand, und wühlte in ihren Taschen. Sie fand einen Stift und den Brief mit der Einladung. Die Rückseite war noch frei. Ella war nicht besonders geübt im Schreiben, die Buchstaben wurden schief und krumm. Aber man konnte die Nachricht verstehen, und das war die Hauptsache.
Liebe Tante Esmeralda,
wir sind leider auf der falschen Burg gelandet. Sie ist ziemlich ruiniert und heißt Wildenburg.
Kannst Du mich und Wolfi von dort abholen?
Viele Grüße, Deine Ella.
PS 1: Wolfi hat gerade seine »Nächte«, Du weißt schon.
PS 2: Ich freue mich so auf Deine Party, hoffentlich ist sie noch nicht vorbei, wenn wir kommen.
PS 3: Ich habe natürlich auch ein schönes Geburtstagsgeschenk für Dich.
Ella las den Brief noch einmal durch und besserte ein paar Worte aus. Dann rollte sie den Zettel zusammen und guckte zum Himmel. Bestimmt waren da oben ein paar Fledermäuse unterwegs! Zum Nachrichtenübermitteln waren sie einfach ideal.
Ella setzte ihre Knochenflöte an die Lippen und spielte eine leise Melodie. Menschenohren hörten davon keinen einzigen Ton, aber Vampire und Fledermäuse konnten die Ultraschalltöne problemlos wahrnehmen.
Es dauerte gar nicht lange, da landete eine Fledermaus in Ellas Haar. Ella pflückte das Tier vorsichtig aus ihren Strähnen und untersuchte es. Es trug am Fuß einen Ring – das Kennzeichen einer ausgebildeten Nachrichten-Fledermaus. Ella schob ihren Zettel durch den Ring.
»Hör zu, kleine Flugmaus: Bring diese Nachricht zur Burg Wildenstein. Es sind ungefähr dreißig Kilometer. Du musst nach Osten fliegen. Die Burg steht bei Zweihausen, auf dem Galgenberg. Empfänger der Nachricht ist Esmeralda Vampirella. Hast du mich verstanden?«
Die Fledermaus stieß eine Reihe von Pfeiftönen aus. Ella verstand die Signale: »Kapiert, kapiert, lass mich los.«
Ella warf das Tier in die Luft und sah ihm nach, wie es davonflog. Bald war es nur noch ein schwarzer Schatten vor dem Mond. Der Mond erinnerte Ella an Wolfi. Höchste Zeit, zur Burgruine zurückzukehren! Ella stieg auf die Bank und breitete die Arme aus.
Sie kreiste kurz über dem Ort, um sich zurechtzufinden, dann schlug sie die Richtung zur Wildenburg ein.
Wolfi reißt aus
Wolfi wartete, dass Ella zurückkam. Er wurde immer unruhiger. Sein Fell juckte unerträglich. Das war ein deutliches Zeichen, dass er sich bald verwandeln würde. Wolfi jammerte leise und beobachtete, wie der Mond höher stieg.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Das Stillsitzen machte ihn verrückt. Wer wusste schon, wann Ella zurückkam! Vielleicht hatte sie sich verflogen, oder sie hatte unterwegs etwas Interessantes entdeckt und ihn einfach vergessen.
Wolfi grollte. Er schlich um die Kisten herum, und die Kreise, die er zog, wurden immer größer. Ruhelos durchquerte er die Burg, sprang über Mauern, balancierte über Simse.
Schließlich entdeckte er ein Loch, das er bei seinem ersten Rundgang übersehen hatte. Eine alte Steintreppe führte in die Tiefe. Schnuppernd reckte Wolfi den Kopf vor. Er sprang die Stufen hinunter und entdeckte einen unterirdischen Gang. Er roch nach Ratten, Moder und Moos. Schnüffelnd tappte Wolfi durch den Gang. Seine Augen konnten auch im Finstern sehen. Da hockte eine Kröte, dort kroch ein Salamander … Der Gang machte einen großen Bogen. Wo würde er wohl enden?
Wolfi rannte schneller. Er wollte wieder raus. Die modrige Luft war stickig und unangenehm. Dort vorne war wieder eine Kurve … Die Nachtluft schlug Wolfi entgegen. Geschafft, endlich! Da war der Ausgang.
Wolfi lief ins Freie, über eine Wiese. Der Mond ließ die Grashalme silbrig schimmern. In der Nähe plätscherte ein Bach. Wolfi hatte großen Durst. Er lief zum Bachufer und watete ins Wasser. In dem Moment hörte er eine Turmuhr schlagen. Zwölf Uhr! Mitternacht!
Die Verwandlung begann. Wolfis Körper veränderte sich. Das Wolfsfell fing an zu schlottern. Als sich Wolfi aufrichtete, fiel das Fell von ihm ab. Er stand als nackter Menschenjunge im Bach.
Sofort griff Wolfi nach dem Fell, das davonschwimmen wollte. Er durfte es auf keinen Fall verlieren, sonst konnte er sich nicht in einen Wolf zurückverwandeln, wenn es so weit war. Wolfi watete ans Ufer und hängte das Wolfsfell über einen Ast. Dann kletterte er die
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