Ellas geheime Traeume 1&2
mit krausem Haar und Zahnspange, die in einer Ecke ein Videospiel spielten und sämtliche Vorhaltungen ihrer Eltern ignorierten.
Ella fand Federico im Wohnzimmer sitzend und wunderte sich, dass einer so lauten Familie ein so ruhiger Mann entspringen konnte. Er schien in sich gekehrt, dabei jedoch nicht unglücklich – und als er Ella sah, kannte seine Freude keine Grenzen. Seine Augen sagten alles, was bei einem mitteilsameren Menschen der Mund gesagt hätte.
Du bist wunderschön, sagten diese Augen, die genauso aussahen, wie Ella sie gezeichnet hatte. „Ich freue mich, dass du da bist“, sagte der Mund.
„Ich freue mich auch“, erwiderte Ella, indem sie sich neben Federico auf einer Sofalehne niederließ. Sie sahen sich lange an, ohne etwas zu sagen, und Ella wurde klar, dass das, was sie gerade von sich gegeben hatte, nicht nur eine Floskel gewesen war. Ich freue mich, dich zu sehen, Federico.
Seine Augen ließen für einen Moment von ihr ab, als seine Schwester ihm ein Blatt Papier unter die Nase hielt. Was ist das wohl? fragte sich Ella, als sie das Erstaunen auf seinem Gesicht sah. Dieselbe Frage stellten sich wohl auch die Verwandten, die um den Designer herumsaßen. Auch sie blickten nun mit großen Augen auf das Blatt und sprachen dann auf Italienisch mit Simi. Die wiederum deutete auf Ella.
„Gute Arbeit“, sagte eine ältere Frau mit vergnügtem Lächeln zu ihr. Und da wurde ihr klar, dass es sich um ihre Skizze von Federico handeln musste.
Das Blut schoss ihr in die Wangen, aber noch bevor sie einige verlegene Sätze von sich geben konnte, die ihr auf der Zunge lagen, hatte Federico sich erhoben und war dicht neben sie getreten.
„Kommst du mit nach draußen? fragte er.
Schweigend gingen sie durch die kalte Nachtluft nebeneinander her. Noch immer hielt Federico das Blatt mit Ellas Zeichnung wie einen Schatz in der Hand.
„So zu zeichnen“, sagte er schließlich, indem er stehen blieb und sie ansah, „lernt man in keiner Ausbildung und keinem Studium. Ich jedenfalls kann es nicht und werde es auch nie können.“
Ella las Anerkennung in seinen Augen – und so etwas wie Wehmut.
„Du solltest, nein, du musst unbedingt etwas aus diesem Talent machen! Hast du eigentlich Abitur gemacht?“
Sie erzählte ihm von ihrem Realschulabschluss, von ihrer Faulheit während der Schulzeit, vom Desinteresse ihrer Eltern, die der Meinung waren, dass ein Mädchen sich vor allem einen reichen Ehemann suchen sollte. Von ihren Träumereien, vom Zeichnen leben zu können.
Er hörte ihr aufmerksam zu „Ich verstehe…“, sagte er dann nachdenklich.
Einzelne Schneeflocken begannen herabzurieseln, und als Ella sah, wie zärtlich er die Skizze an seiner Brust unter der Jacke barg, löste dies ein Gefühl in ihr aus, das sie nicht hätte in Worte fassen können. Er ist so völlig anders als Alan, dachte sie.
„Ich… ich würde dir gern alles zeigen, was ich im Studium gelernt habe. Ich weiß nicht, inwiefern dich das deinem Traum näherbringt. Aber wenn du es möchtest,…“
„Ja! Wahnsinnig gern!“ unterbrach sie ihn, indem sie ihm um den Hals fiel. Das Papier unter seiner Jacke raschelte vorwurfsvoll, als sie sich an ihn lehnte und ihre Arme um seinen Hals schlang. Ihr völlig untypischer Gefühlsausbruch schien ihn einen Moment lang so sehr zu verwirren, dass er einfach nur da stand. Dann reagierten seine Arme wie von selbst, indem sie sich fest um ihren Rücken schlangen. Er drückte sie einen Moment lang fest an sich, gewährte seinem Herzen die Chance, neue Kraft aus ihrer Berührung zu tanken. Dann gewann seine Unsicherheit wieder die Oberhand, und er ließ sie los.
Ella sah große Zärtlichkeit in Federicos Augen, während er diese Sätze aussprach. In jeder anderen Situation hätten sie kitschig geklungen, aber er sagte sie mit solchem Ernst, dass ihr Herz sich ihm weit öffnete. Am liebsten hätte sie sich noch einmal an ihn geschmiegt und seine Wärme gespürt.
Gleichzeitig fühlte sie sich schuldig. Sie hatte in der vergangenen Nacht mit einem anderen Mann geschlafen. Mit einem Mann, von dem sie nicht guten Gewissens und voller Überzeugung hätte behaupten können, dass er ihr gleichgültig war.
„Danke“, sagte sie deshalb nur und strahlte ihn an. „Ich werd‘s auf jeden Fall versuchen. Darauf kannst du dich verlassen.“
Als sie sich einige Stunden später von Familie Alessi verabschiedete und mit dem Bus nach Hause fuhr, glitten die Lichter des Weihnachtsmarkts an den
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