Elli gibt den Loeffel ab
von Dir im Internet. Elisabeth hat mir immer wieder von Dir erzählt, von Deinen aufregenden Reisen und von Eurem schönen Kino. Deine Mutter war sehr stolz auf Dich. Du hast also tatsächlich Deinen Traum gelebt und das Kino zu Deinem Beruf gemacht. Wer kann das schon von sich behaupten? Elisabeth hat mir auch vom Tod Deines Mannes und dem Verkauf Eures Lichtspielhauses berichtet. Bei uns in Italien gibt es ebenfalls ein Kinosterben. Ich vermisse die gute alte Zeit. Erinnerst Du Dich noch an den Film Cinema Paradiso?
Leider kann man die Uhr nicht zurückdrehen. Man muss nach vorne blicken, deshalb schreibe ich Dir auch in einer zugegebenermaßen eher delikaten Angelegenheit. Ich glaube nämlich, dass Dir eine größere Erbschaft zusteht. Vermutlich wirst Du keine Benachrichtigung von den Behörden bekommen, denn sie haben kein Interesse daran, den rechtmäßigen Erben ausfindig zu machen. Es geht um ein Haus, ein Grundstück und vermutlich noch einige andere Vermögenswerte. Mehr kann ich Dir nur persönlich sagen. Bitte komm so schnell wie möglich nach Capri. Um die Jahreszeit ist die Insel wunderschön, wie Du sicher noch weißt. Nimm Dir ein Zimmer in der Villa Palma. Ich werde es dann erfahren, wenn Du eingetroffen bist. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.
Fabrizio
Eine Erbschaft? Wer um Himmels willen sollte ihr etwas vererbt haben? Und warum diese Geheimnistuerei? Abgesehen davon hatte Fabrizio recht: Im Frühling war Capri ein Traum, auch heute noch. Das azurblaue Meer, die steilen Küsten, die salzhaltige, schwere Luft, der Duft von Zitronen... Wäre es nicht schön, die alte Pension wiederzusehen? »Casa Bella«, fiel ihr der Name endlich wieder ein. Was für ein bezaubernder Name.
Von den Erinnerungen für einen Moment überwältigt, machte Elli sich erst jetzt die materiellen Konsequenzen dieses Briefes klar. Es ging um eine Erbschaft! Um Geld! Um eine Existenz! Die Bank hatte ihr eine Frist bis zum Ende des Monats eingeräumt.
»Es gibt einen Gott!«, posaunte Elli lauthals hinaus, in der Gewissheit, dass niemand ihren nach Pathos riechenden peinlichen Auftritt hören konnte.
Kapitel 2
Natürlich wäre es kein Problem, mit dem Flieger nach Neapel zu reisen und von dort mit der Fähre nach Capri überzusetzen. Dummerweise gab es in nächster Zeit, wie Ellis abendliche Recherche im Internet ergab, keine Billigflüge, und sie konnte den für sie zuständigen Sachbearbeiter in der Bank schlecht darum bitten, ihren Dispokredit für eine Flugreise nach Neapel noch einmal zu erhöhen, noch dazu wegen einer dubiosen Erbangelegenheit.
Nach der dritten Tasse Tee, die neben ihrem Notebook auf dem kleinen Küchentisch gemütlich vor sich hin dampfte, beschloss Elli, keine weiteren Recherchen mehr anzustellen. Kaum war der Rechner heruntergefahren und zugeklappt, fiel ihr Blick auf die gerahmten Bilder an der Wand neben der Anrichte. Kein Zweifel. Das Stillleben mit den knallgelben Zitronen, das sie Vorjahren auf dem Flohmarkt erstanden hatte, war ihr Lieblingsbild. Wie lange schon hatte sie es gar nicht mehr bewusst wahrgenommen? Erst Fabrizios Brief ließ das leuchtende Gelb der Früchte in noch kräftigeren Farben erstrahlen. Es erinnerte sie an Capri. Sofort stieg ihr wieder der Duft der Zitronenplantagen in die Nase. Es roch nach Frühling und nach guter Laune, aber wer wusste es schon, vielleicht war ja auch irgendetwas faul an Fabrizios Brief. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn sie Friedas Meinung dazu einholte. Am frühen Abend war sie bei ihrer Tochter sicher telefonisch erreichbar.
»Ich schwöre dir, das stinkt zum Himmel«, gab Frieda ihr später mit Nachdruck zu verstehen. »Das klingt wie bei einem von diesen dubiosen Gewinnspielen. Erst hast du eine Reise gewonnen, und wenn du dann das Kleingedruckte liest, stellt sich heraus, dass die zusätzlich anfallenden Kosten für die Getränke, den Transfer und sonstige Leistungen teurer sind, als wenn du gleich eine Pauschalreise im Reisebüro gebucht hättest.«
»Und wenn es doch stimmt?«
»Elli! Das ist Unsinn. Wer auf Capri sollte ausgerechnet dir etwas vererben?«
»Genau das möchte ich ja herausfinden«, warf Elli mit Vehemenz ein.
»Wer weiß, vielleicht braucht dieser Fabrizio Geld. Erst lockt er dich nach Italien und redet dir ein, wie lukrativ irgendetwas ist, und dann schnappt die Falle zu.«
»Du weißt genau, dass ich kein Geld habe.«
»Umso schlimmer«, meinte Frieda nur. »Er hätte dir zumindest seine Telefonnummer
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