Elli gibt den Loeffel ab
ihres luftigen Sommerkleides der inzwischen schon recht starken Frühlingssonne hilflos ausgeliefert. Nach nur etwa zwei Stunden Schlaf, Konsequenz der Kofferpackorgie und der schier endlosen Gedankenschleifen, die um Capri gekreist waren, war es sowieso kein Vergnügen, eine derart lange Autofahrt anzutreten. Dennoch freute Elli sich auf Italien. Zu viele gute Erinnerungen hingen daran.
Zwar hatte sie gemeinsam mit Josef schon die halbe Welt gesehen, doch vermutlich hinterließ die erste große Liebe die nachhaltigsten Spuren. Nur so konnte sie sich erklären, warum der Strom deutscher Touristen, die in den Ferien wie die Lemminge nach Italien pilgerten — zumeist auch noch an denselben Ort und trotz eindeutig überhöhter Preise — , einfach nicht abreißen wollte. Dabei gab es rein objektiv betrachtet schönere Plätze, malerischere Landschaften, idyllischere Urlaubsoasen.
Sofort fielen ihr die tiefen Schluchten des Grand Canyons ein, die sie auf einer Ballonfahrt in Josefs Begleitung hatte erleben dürfen. Einfach atemberaubend. Wie sehr hatte Elli die dreiwöchige Canyon-Rundreise durch Nevada, Utah, Colorado und Montana beeindruckt. Unberührte Natur, befreiende Stille, klare Luft. Dazu Josef mit Cowboyhut wie der Marlboro-Mann — zumindest wenn man sich seinen Bierbauch wegdachte. Trotzdem schlug Ellis Herz höher, wenn sie an die kitschig-verträumte Landschaft der Toskana oder an die Fischer im Hafen von Capri dachte. Erfreulicherweise setzte sich nun die kräftige Stimme von Adriano Celentano, der sie mit »Soli« beglückte, gegen die Protestlaute des Käfers durch. Bis zum Brenner war es zum Glück nicht mehr weit. Der liebe Gott musste ihr Stoßgebet erhört haben.
»Italien, ich komme!«, rief sie und trat aufs Gas.
Die Intervalle, in denen Heinz ein zaghaftes Winseln an seiner Seite vernahm, wurden immer kürzer. Langsam, aber sicher würde er nach einem geeigneten Gassi-Rastplatz Ausschau halten müssen. Ein Blick auf die Tankanzeige unterstrich die Dringlichkeit einer Fahrtunterbrechung. In Österreich wäre das Benzin allerdings billiger gewesen. Heinz ärgerte sich darüber, dass er vor dem Brenner nicht noch einmal getankt hatte.
»Du darfst ja gleich raus«, tröstete er seinen treuen Begleiter und tätschelte ihm das kleine Köpfchen, was Oskar sogleich mit erfreutem Schwanzwedeln und Schmuseblick kommentierte.
Ein Chihuahua wusste nun mal ganz genau, wie er sein Herrchen für sich gewinnen konnte. Den Hals hinstrecken, kraulen lassen, mit diversen wohligen Fiep- und Grunzlauten Zustimmung signalisieren und für den Fall, dass es nicht reichte, sich blitzartig auf den Rücken werfen — die Hinterläufe entspannt gespreizt, die Vorderpfötchen vor der Brust, als würde er im Liegen Männchen machen. Dazu dieser verschmitzte und gerade deshalb so liebenswerte Blick. Oskar hatte weder ein Rehpinscher-Gesicht noch ein Schrumpfköpfchen. Ein richtiger Hund eben.
Oskar erinnerte Heinz zudem stets an seine Mutter, die ihm kein besseres Erbe hätte hinterlassen können. Er hätte es sowieso nicht fertiggebracht, Oskar in ein Tierheim abzuschieben. So ein kleiner Kerl fraß ja nicht viel und gab sich auch mal mit kürzeren Spaziergängen zufrieden. Der ideale Hund für seine langen Reisen, zumal ihn seine Mutter an ein Katzenklo gewöhnt hatte, das selbstverständlich zum Inventar des Wohnmobils gehörte. Einfach perfekt, und zwar nicht nur aus rein praktischen Erwägungen.
Oskar war ihm bald zu einem treuen Freund geworden, machte Heinz sich klar, als er das Fell des Hundes ordentlich durchknuddelte. Auf der einen Seite war er sehr einfühlsam und sensibel, auf der anderen Seite spielte er gerne den Chef. Nein, eigentlich war Oskar der Chef. Mit einem einzigen Augenaufschlag konnte er Steine zum Schmelzen bringen, und immer wenn Heinz sich einsam oder unwohl fühlte, schmiegte der Hund sich an seinen Bauch oder die Seite. Kaum auf der Straße oder sobald ein anderer Hund auch nur in Sichtweite kam, mutierte er allerdings zum Werwolf, ob nun Vollmond war oder nicht.
Mut und Herz — zwei Eigenschaften, die sich Heinz ebenfalls zuschrieb — machten den kleinen Kerl zu einem Seelenverwandten. Ein richtig süßer Fratz mit ausdrucksvollen, aber nicht aus den Höhlen quellenden Froschaugen, wie dies bei manch überzüchtetem Chihuahua der Fall war.
Tätschel, tätschel. Eines Tages würde er wegen Oskar noch einen Unfall bauen. Der nächste Rastplatz war in Sicht. Sogar mit Tankstelle!
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