Ellorans Traum
meinem Haar auf meine Schulter sinken. Ich machte eine abwehrende Geste, aber er kümmerte sich nicht darum.
»Sie haben dich komplett eingewickelt, richtig?« sagte er spöttisch. »Meine geschätzten Eltern und meine alte Meisterin – sie haben dir die kitschige Fabel vom verlorenen und wiedergefundenen Kälbchen vorgespielt, und du hast es geschluckt. Ach, Elloran, ich hatte solch große Hoffnungen in dich gesetzt, und du hast mich so tief enttäuscht.«
Seine Finger spielten mit meinen Haaren. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren. Seine Augen strahlten in einem unirdischen Feuer. Er berührte sanft meine Wange und sagte: »Es ist noch nicht zu spät, meine verirrte kleine Nichte. Noch können wir das Spiel zu unseren Gunsten wenden.«
Ich wandte heftig den Kopf zur Seite und schüttelte mich vor Widerwillen. »Julian, wie kannst du glauben, daß ich dir nach all dem, was du mir angetan hast, noch h-helfen würde?«
Sein melancholisches Gesicht wurde noch etwas trauriger, und er griff nach meiner Hand. Ich ließ es wie betäubt zu. »Dir angetan? Ich habe dir nie geschadet, im Gegenteil«, ereiferte er sich. »Ell, haben sie dir derart den Kopf vernebelt, daß du diese Lügen glaubst? Hast du vergessen, wie nahe wir uns einmal standen?« Sein Gesicht schien ehrlich betrübt.
»W-was hast du vor?« flüsterte ich benommen. Er streichelte zärtlich meine Finger und neigte sich nah zu mir. Seine Augen zogen mich in einen Bann, den ich nicht brechen konnte oder wollte.
»Wir werden über diese Welt herrschen«, hauchte er, und ich lauschte ihm gefesselt und zugleich abgestoßen. »Wir alleine und für eine längere Zeit, als irgend jemand hier sich ausmalen kann, meine Freundin. Wir werden unsterblich sein!« Sein Atem ging hastig. Er schien mich mit seinen Augen aufspießen zu wollen.
»Du bist wahnsinnig, Julian«, krächzte ich.
Er lächelte und legte seine bleichen Finger liebkosend an meine Wange. »O nein, ich bin klarer bei Verstand als alle anderen hier. Ich biete dir die Unsterblichkeit, Elloran. Das und ewige Macht – willst du dies einfach so ablehnen, nur weil deine starrsinnigen Großeltern mich unbedingt als den bösen schwarzen Mann darstellen wollen?« Ich wußte nicht, was ich ihm antworten sollte.
»Deine Freunde von der Allianz«, fuhr er flüsternd fort. »Sie haben das Geheimnis des ewigen Lebens gelöst. Ich bin fest entschlossen, es ihnen zu entreißen!« Sein wilder Blick klebte auf meinem Gesicht. Ich konnte die Augen nicht abwenden.
»Unser Kommandant«, hauchte er. »Nikal – er hat mir, ohne es zu wollen, einiges verraten. Ich war sehr geschickt darin, ihm sein Geheimnis zu entlocken. Rate, wie alt er war, als du ihn zuletzt sahst!«
Ratlos antwortete ich: »Genau kann ich es dir nicht s-sagen, Julian. Sicher sehr viel älter als mein Vater, aber jünger als Karas, denke ich.«
Er lachte höhnisch. »Weit gefehlt, meine Liebe. Er hatte sein hundertstes Lebensjahr schon lange überschritten. Die anderen aus seiner Vergangenheit sind alle ähnlich alt – einer von ihnen, dieser Anführer namens Omelli, muß sogar noch weitaus älter sein als Leonie!« Er lehnte sich zurück und sah mich triumphierend an.
Trotz meines Entsetzens mußte ich lachen. »Julian, du redest wirklich irre! Überlege doch, du hast Nik lange genug gekannt: er ist in den Jahren gealtert, wie jeder Mensch das tut. Beweist das nicht, daß du dich irrst?«
Er schüttelte heftig den Kopf, daß seine schwarzen Haare flogen und neigte sich wieder zu mir. Er legte seinen Arm um meine Schultern und wisperte mir ins Ohr: »Aber nein. Du verstehst es nicht. Es durfte ja nicht auffallen, wie hätte es denn ausgesehen, wenn er ewig jung geblieben wäre! Das gehörte alles zu seiner Tarnung. Denk doch an die Fremden, die ihn suchten, weil er ein alter Freund von ihnen sei: Erschienen sie dir dafür nicht viel zu jugendlich?«
Das machte mich allerdings nachdenklich. Er sah mich beschwörend an. »Vielleicht hast du ja r-recht«, erwiderte ich zögernd. »Aber was hat das mit uns – mit dir zu tun?« Mein Versprecher erschreckte mich; vor allem, weil er ihn natürlich mit deutlicher Befriedigung zur Kenntnis nahm.
»Mit deiner Hilfe werde ich ihnen das Geheimnis entlocken«, erklärte er. »Denk doch nur, Elloran – wir werden länger leben, als selbst das alte Volk der Magier es je getan hat! Du und ich, meine Schönste!« Er zog meine Hände an seinen Mund und küßte sie voller Leidenschaft.
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