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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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halblaut, als wir zu meinem Zimmer zurückgingen. Ich erwiderte nichts. Mir ging es oft genug nicht anders.
    »M-mit der Zeit gewöhnst du dich daran«, sagte ich schließlich und hörte Jenkas Lachen. »Wie hast du das eigentlich gemeint, du würdest mich keine Sekunde aus den Augen lassen?«
    »Genau wie ich es sagte«, antwortete sie übermütig und zog meinen Arm unter den ihren. »Ich weiche dir von jetzt ab Tag und Nacht nicht mehr von der Pelle. Wenigstens so lange nicht, bis dieses Ungeheuer unschädlich gemacht wurde!«
    »Das sind ja schöne Aussichten!« schimpfte ich und öffnete die Tür zu meinem Zimmer. »Soll das heißen, daß ich von nun an ständig dein Gesicht vor der Nase haben werde?«
    Sie blieb im Gang stehen und sah mich verlegen an. »Wenn ich dir lästig falle ...«, stotterte sie.
    Ich lachte auf und zog sie an mich. »Dummes Ding«, flüsterte ich in ihr Ohr und schloß die Tür hinter uns. Sie ergab sich erleichtert in meine Umarmung und schenkte mir einen schnellen, kleinen Kuß, den ich ihr in den nächsten Minuten gerne und mit Zinsen zurückzahlte.
    Jemaina und Leonie ließen sich zwei Tage lang nicht sehen. Was auch immer in dieser Zeit hinter der geschlossenen Tür zu Leonies Gemächern stattfand, ich hoffte, daß es zu unserem Sieg beitragen würde. Jenka machte ihre Ankündigung wahr und wich nicht mehr von meiner Seite: nachts schliefen wir eng aneinandergeschmiegt in meinem schmalen Bett, und tags bewachte sie mich auf Schritt und Tritt. Veelora hatte nur geschmunzelt und sie bereitwillig für diesen Dienst freigestellt, als ich verlegen darum bat.
    Am Morgen des Tages, an dem der Zweikampf stattfinden sollte, ließ ich mich von Jenka wieder zum Labyrinth begleiten. Ich fühle mich beklommen, wenn ich an das Kommende dachte – niemand wußte, wie dieser Tag enden würde. Schweigend und bedrückt folgten wir dem Weg ins Herz des Irrgartens. Auf der Bank in seiner Mitte saß bereits jemand: ein hochgewachsener, sehr schlanker Mann mit weißem Haar, der uns den Rücken zuwandte. Jenka griff nach ihrem Schwert und schob sich schützend vor mich. Ich blickte die Gestalt an. Er hatte uns anscheinend noch nicht bemerkt. Etwas an seiner Haltung kam mir vertraut vor und ließ mich innerlich zu Eis erstarren.
    »Geh, Jen«, hauchte ich. Sie fuhr auf, aber ich schob sie zurück hinter eine blühende Hecke. »Bitte, Jenka, laß mich allein«, flehte ich leise, und sie murmelte protestierend: »Aber ich bleibe in Rufweite!«
    Ich wandte mich um und trat geräuschlos auf den Mann zu, der wie in tiefem Nachsinnen seinen Kopf in die Hände gestützt hatte. Jetzt schien er meine Anwesenheit zu spüren. Seine Schultern versteiften sich, und er drehte sich um. Wir sahen uns stumm und mit angehaltenem Atem an. Endlich atmete er zitternd aus und sagte: »Ja. Jetzt stimmt alles. So ist es endlich richtig.«
    »Was b-bist du?« fragte ich verwirrt. Er lächelte sein altes, unendlich vertrautes Lächeln, das sein Gesicht in tiefe Falten legte. Seine Hände streckten sich nach mir aus, ich ergriff sie zögernd, und meine Finger umklammerten warmes, lebendes Fleisch.
    »Was soll ich denn deiner Meinung nach sein?« fragte er mit sanftem Spott.
    »Tot«, antwortete ich. »Tot, Nik.« 

23
    I n meiner Erinnerung besitzt dieser Morgen den Geschmack eines seltsamen Traumes. Ich hielt die Hand eines Toten und sprach mit ihm wie mit einem Menschen aus Fleisch und Blut. Mein Argwohn und meine Angst mußten deutlich in meinem Gesicht zu lesen gewesen sein, aber er verlor keine einzige Bemerkung darüber. Ich konnte meine Augen nicht von ihm wenden. Er sah wieder aus wie er selber, wenn er auch immer noch erschreckend hager war. Sein Gesicht schien gelassen und von einer tiefen Ruhe erfüllt. Die harten, bösen Linien waren fort, trotz seiner Falten und der weißen Haare wirkte er jünger als während unseres letzten Winters auf Salvok.
    »Du hast dir den Bart abgenommen«, sagte ich nach langem Schweigen, als wäre das das Wichtigste, was wir zu bereden hatten. Er lächelte mich an, und ich fühlte einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen.
    »Der Bart hat mir den schlimmsten Ehekrach meines Lebens beschert«, schmunzelte er. »Meine Jihhan hat mir mit der Trennung gedroht, wenn ich darauf bestünde, ihn zu behalten.«
    Das mußte ich erst einmal verdauen. Er wartete, ließ mir Zeit. Ich starrte ihn an, musterte jeden Zentimeter seiner Gestalt. Das erstaunlich glatte Gesicht, die sehnigen Hände und

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