Ellorans Traum
Stadt.«
»Hat er Schwierigkeiten gemacht?«
»Ja, zuerst schon. Aber seine Verletzungen haben ihn sehr geschwächt, er ist im Augenblick nicht in der Lage, mir ernsthaft Widerstand zu leisten. Ich melde mich wieder bei dir, wenn wir in Sicherheit sind.«
Magramanir hüpfte von meiner Schulter und flog aus dem Fenster. Einigermaßen beruhigt, daß Nik in Julians Obhut war, schlief ich schnell wieder ein.
Meine Tage waren öde und ermüdend: Vor dem Morgengrauen hinaus, Ställe ausmisten, das Vieh füttern, Pferde striegeln, die Kühe melken – es gab mehr als genug Arbeit in den Stallungen der Burg. Zur Krönung des Ganzen ließ der dicke Bernak keine Gelegenheit aus, mich mit meiner neuen Stellung aufzuziehen. Zwar schluckte ich all seine Beleidigungen hinunter, aber es fiel mir von Mal zu Mal schwerer.
Mein Vater schien die Absicht zu hegen, mich für den Rest meines Lebens im Stallmist versauern zu lassen. Ellemir, die ich um Rat und Hilfe bat, schüttelte nur gereizt den Kopf. »Das hast du dir selbst eingebrockt, Elloran. Sieh zu, wie du da wieder herauskommst.«
Also biß ich die Zähne zusammen und schaufelte weiter Mist.
Der Frühling ging vorüber, meine Hände zierten harte Schwielen, und die Muskeln meiner Schultern und Arme hatten sich prächtig entwickelt. Nikal wäre stolz auf mich gewesen. In diesen Wochen änderte sich der Zustand des bedauernswerten Reuven weder zum Besseren noch zum Schlechteren. Er lag weiterhin still und bleich in Jemainas Krankenzimmer; ohne Bewußtsein im Schattenreich zwischen Leben und Tod schwebend.
Julians geflügelte Botin erschien erneut in der Siebtwoche des Frühlings: Julian war mit seinem Schützling sicher und wohlbehalten in der Stadt eingetroffen. Alles weitere stand in den Sternen.
6
Z u Beginn des Kornsommers lag ich eines Vormittags in der Nähe des Dorfweihers dösend im sonnenwarmen Gras. Ich hatte die Kühe der Burg auf ihre Weide getrieben und gönnte mir nun eine kleine Pause, bevor Hjelvor mich wieder mit Arbeit eindecken würde. Das zumindest hatte ich inzwischen gelernt: mir meinen Schlaf zu holen, wo sich eine Gelegenheit bot. Mit geschlossenen Augen lauschte ich dem schmetternden Lied einer Feldlerche, die hoch über mir in der Luft stand, als gedämpfter Hufschlag und das Rollen von Wagenrädern an mein Ohr drang.
Ich stützte mich träge auf die Ellbogen und schirmte meine Augen gegen die grelle Sonne ab, neugierig, wer da den Weg entlangkam. An der Kreuzung hatte ein buntbemalter Wagen haltgemacht, der von einem knochigen Schimmel gezogen wurde. Auf dem Bock saß ein kleiner, unauffällig gekleideter Mann, und ein Reiter auf einem häßlichen Fuchs begleitete den Karren. Die beiden Männer deuteten auf die sich kreuzenden Wege und schienen sich zu beraten, welchen von ihnen sie einschlagen sollten. Der Kutscher wies schließlich auf mich, und der Reiter wendete sein Pferd und kam auf mich zu. Dem buntscheckigen Karren nach zu urteilen, gehörten die beiden zum fahrenden Volk: Gaukler oder Spielleute oder Händler von allerlei exotischem Krimskrams. Diese Aussicht munterte mich auf; sie versprach eine unterhaltsame Abwechslung vom eintönigen Burgalltag. Fahrendes Volk verirrte sich nur selten nach Salvok und war daher immer höchst willkommen.
Der Fremde zügelte vor mir sein Pferd und sprang leichtfüßig aus dem Sattel. »Sei mir gegrüßt, domu «, rief er mir mit tiefer, klangvoller Stimme zu. »Siehst du dich in der Lage, zwei verirrten Fremdlingen den Weg zu Burg Salvok zu weisen?« Ich mußte über seine seltsame Ausdrucksweise lachen. Einen barfüßigen, nicht allzu sauberen Stallburschen mit › domu ‹ zu betiteln, war in jeder Hinsicht ungewöhnlich.
Der Fremde sah mein Lachen und erwiderte es vergnügt aus strahlenden türkisfarbenen Augen. Er war nicht groß, dafür aber muskulös und stämmig, mit langen Armen und breiten Schultern. Die weiten Ärmel seines weißen Hemdes trug er hochgekrempelt und mit gelben Bändern an eine leuchtendrote ärmellose Weste geknotet, und über seine kräftigen Beine spannte sich eine enggeschnürte Hose in der Farbe seiner Augen: eine auffällige und farbenfrohe Mode, die mir so fremdartig erschien wie der ganze Mann. Ich musterte ihn ungeniert, während ich ihm den Weg zur Burg beschrieb. Er war wohl der behaarteste Mensch, den ich je zu Gesicht bekommen hatte. Seine Arme und das, was ich von seiner breiten Brust in dem weit offenen Hemdausschnitt sehen konnte, waren von dichtem dunklen
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