Ellorans Traum
den Karren versammelt: Neuigkeiten verbreiteten sich schnell auf der Burg. Die Fremden wurden mit Zurufen und Fragen bedrängt; ich sah den Spielmann mit den Achseln zucken und lachen, dann sprang er in den Wagen und kam mit einer Laute wieder zum Vorschein. Ich atmete erleichtert auf und tauchte in das dämmrige Innere des Gesindehauses.
Die fahrenden Fremden waren bald darauf in einer der Gästekammern untergebracht. Die gebannt lauschende Menge hatte den Spielmann widerwillig freigegeben, nachdem Tom ihnen versprochen hatte, am Abend in der Halle eine Vorstellung für die Burgsassen zu geben. Während mein Vater die Fremden empfing, versorgte ich die Pferde der beiden. Der Fuchs des Spielmannes war von ebenso häßlichem Charakter wie sein Äußeres vermuten ließ und versuchte mehrmals, mich zu beißen. Es gelang ihm nicht, da ich auf der Hut war, aber statt dessen trat er mir dann heftig auf den Fuß. Ich muß gestehen, daß ich, während ich schimpfend den großen Bluterguß kühlte, versucht war, aus dem Verhalten des Pferdes unschöne Rückschlüsse auf den Charakter seines Reiters zu ziehen.
Hjelvor schalt mich aus, weil ich meinen Dienst vernachlässigt hatte, aber er zwinkerte dabei und gab mir für den Rest des Tages frei. Das war ein unverhofftes Geschenk. Ich machte mich sofort auf den Weg zu Jemainas Kate, um ihr von unseren Besuchern und ihren bohrenden Fragen nach Nikal zu berichten. Aber die Kate stand leer, und auch Jemainas Bündel fehlte. Wahrscheinlich machte sie gerade ihre Runde durch das Dorf. Ich öffnete leise die Tür zum Krankenzimmer und schaute nach Reuven. Das hatte ich mir seit Nikals Flucht zur Angewohnheit gemacht. Unklare Schuldgefühle nagten seither an mir; vielleicht, weil ich mir die ganze Zeit nur Kopfzerbrechen um Nikal gemacht hatte, ohne auch nur einen Gedanken an sein unglückliches Opfer zu verschwenden.
Reuven lag reglos auf dem schmalen Bett. Mir schien, daß er seit dem letzten Mal noch weiter abgemagert war. Sein stilles, bleiches Gesicht war eingefallen, und die Haut spannte sich straff über seine Knochen. Ich flößte ihm etwas Wasser ein. Der letzte Schluck rann wieder aus seinen Mundwinkeln, ich wischte das Wasser fort und blieb noch eine Weile neben seinem Lager sitzen.
Draußen rannte ich dann prompt dem Spielmann in die langen Arme. Er bemerkte mich nicht sofort, denn er kniete neben einem von Jemainas Heilpflanzenbeeten und untersuchte neugierig eine der überaus seltenen rotblättrigen Chholan-Pflanzen, die Jemainas ganzer Stolz waren. Sein Gesicht war ernst, er wirkte gesammelt; nichts an ihm erinnerte mich in diesem Augenblick an den charmanten und leichtfüßigen Tagedieb, als der er mir bisher erschienen war.
Er sah auf, als er meine Schritte hörte, und lächelte mich an. Dieses Lächeln verfehlte sicherlich selten seine Wirkung; ich muß gestehen, daß es selbst auf mich, der ich diesem Mann gegenüber ein gerüttelt Maß an Mißtrauen aufbrachte, eine geradezu hypnotische Wirkung ausübte. Ich ertappte mich ärgerlich dabei, wie ich es fast ebenso breit erwiderte. Die Ausstrahlung dieses Menschen war wirklich bemerkenswert. Er war zwar alles andere als gutaussehend zu nennen – schon gar nicht, wenn man das beinahe unverschämt hübsche Äußere seines Begleiters daneben betrachtete – aber ich war sicher, daß die Frauen und Mädchen der Burg ihm bereits jetzt allesamt schmachtend zu Füßen lagen.
»Mein lieber junger Freund!« rief er nun überschwenglich aus und sprang geschmeidig auf die Füße. »Ich bin entzückt und erfreut, dich hier wiederzutreffen!« Er legte einen Arm um meine Schultern und zog mich mit sich. »Wir werden etwas Kühles trinken und gemütlich miteinander plaudern. Und vielleicht können wir auch das eine oder andere Kartenspielchen miteinander wagen. Sag, was hältst du von meinem Vorschlag?«
»Sei bloß vorsichtig, wenn du mit ihm spielst. Er bescheißt«, erklang hinter uns die kühle Stimme des schmächtigen Heilers. Tom stemmte die kräftigen Hände in die Seiten und schnappte empört nach Luft, aber er sollte nicht dazu kommen, die Bemerkung loszuwerden, die ihm auf der Zunge lag. Akim starrte an ihm vorbei – mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der eine Erscheinung hat. Neugierig geworden, drehten wir uns um und erblickten Jemaina, die mit gewohnt forschem Schritt, der ihre weiten Röcke heftig schwingen ließ, den Hof überquerte.
»Kleine Krähe«, rief Akim lauthals und sprang auf sie zu, daß der
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