Ellorans Traum
als der der letzten Nacht: hier gab es entschieden weniger Ungeziefer, die Luft war besser, und er kostete mich keinen Pennych. Morgen würde ich erneut versuchen, in die Kronburg zu kommen. Es mußte einen Weg geben, und ich würde ihn finden!
Ich konnte erst eine oder zwei Stunden geschlafen haben, als jemand mich heftig wachrüttelte. Verwirrt blinzelte ich in das Licht einer Fackel und wollte Tom fragen, was los sei. Erst als ich die röchelnden Laute aus meinem Mund kommen hörte, fiel mir wieder ein, wo ich war. Ein fremdes, bärtiges Gesicht blickte mich an. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah ich, daß es einem Mann in der dunkelbraunen Uniform der Stadtwache gehörte.
»Bist du krank?« fragte er als erstes besorgt. Das mußten ihm die tierischen Laute aus meiner Kehle nahegelegt haben; ich schüttelte schnell den Kopf und zeigte meine übliche Pantomime. Sein Gesicht entspannte sich, und er lächelte sogar ein wenig. »Du kannst hier nicht schlafen«, sagte er. »Hast du kein Zuhause? Eltern? Familie? Einen Dienstherrn?« Ich schüttelte auf jede seiner Fragen den Kopf. Sein Gesicht wurde immer bedenklicher. »Ich muß dich auf die Wache mitnehmen«, sagte er. »Vagabunden und Bettler sind hier in der Stadt nicht gerne gesehen.« Das hatte ich heute schon einmal zu hören bekommen. Ich stand also auf und folgte dem Soldaten, der sich mein Bündel unter den Arm geklemmt hatte – wahrscheinlich, damit ich nicht auf den Gedanken kam, durchzubrennen. Den Rest der Nacht verbrachte ich in einer engen, schmutzigen Zelle der Stadtwache, wo ich dem Komfort und der frischen Belüftung meines vorherigen Quartiers nachtrauerte. Meine Zellengenossen rochen alle ähnlich betäubend wie der große Marktplatz. Die dicke Luft und dazu das ständige Ächzen, Schnarchen, Murmeln und Rascheln der Männer und Frauen um mich herum ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Zerschlagen und übernächtigt stand ich in aller Frühe vor einem zerknautscht aussehenden Offizier der Wache, der mich äußerst mißmutig musterte, während er seinen Tee trank.
»Streuner, Beutelschneider, Einbrecher, nicht gemeldeter Lustknabe?« fragte er. Ich sah ihn verständnislos an. Er schnaubte ungeduldig. »Bursche, erspar uns beiden doch bitte dieses Theater. Du bist doch nicht zum ersten Mal aufgegriffen worden. Was war bisher gewöhnlich der Grund? Hast du jemandem die Taschen ausgeräumt oder bist du in ein Haus eingestiegen ...« Ich öffnete empört den Mund und schloß ihn gleich wieder. Dann schüttelte ich heftig den Kopf. Er sah mich aus blutunterlaufenen Augen müde und angewidert an und knallte dann ein Blatt Papier auf den Tisch. »Gut, wenn du darauf bestehst, dann eben auf die umständliche Tour. Glaub bloß nicht, daß dir das irgendwie helfen wird! Name?«
Ich führte erneut meine Pantomime auf. Langsam begann mir meine Sprachlosigkeit wirklich lästig zu werden. Der Offizier warf mir einen fassungslosen Blick zu und vergrub dann den Kopf in den Händen.
»Auch das noch«, hörte ich ihn dumpf stöhnen. Ich tippte ihm auf die Schulter und wies auf das Papier unter seiner Hand. Er blickte mich begriffsstutzig an. Ich griff nach der Feder, die auf dem Tisch lag und deutete wieder auf das Papier. Er verstand und sah tatsächlich etwas freundlicher aus.
»Na, wenigstens etwas«, sagte er gnädig und schob mir Papier und Tintenfaß hin. »Also noch mal: Name?« Ich tat ihm den Gefallen und kritzelte meinen Namen auf das Blatt. Dann fügte ich ungefragt hinzu: Ich bin der Enkel der Herrin von Kerel Nor. Bitte benachrichtige meine Großmutter, daß ich hier bin . Ich schob ihm das Blatt hin und sah zu, wie er die Nachricht las. Er hob den Kopf und sah mich verblüfft an. Dann legte er den Kopf in den Nacken und schrie vor Lachen.
»Junge, das ist wirklich die unverschämteste Lüge, die mir hier je serviert worden ist, und ich habe in meinem Leben einige zu hören bekommen«, keuchte er schließlich und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Das ist wirklich zu stark!« Er schneuzte sich und zerknüllte das Papier. »Moriss!« Ein älterer, grämlich dreinblickender Soldat trat ein und salutierte nachlässig. »Bring den Jungen hier ins Arbeitshaus. Streunerei, drei Neunwochen.«
Das Arbeitshaus lag auf der anderen Seite der Stadt. Mir knurrte heftig der Magen, während ich neben Moriss hertrottete.
»Du hast Hunger, hm?« brummte er. Ich nickte beschämt, und er setzte wortlos seinen Weg fort. Wir kamen an
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