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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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ärgerlich.« Er hielt einen Becher mit Würzwein in der gepflegten Hand und führte ihn geziert an seinen kleinen, weichen Mund. Sein rundes Gesicht gab sich alle Mühe, ergrimmt auszusehen, aber das gelang ihm nur unzureichend. »Dieses idiotische Fieber hat mir meine Schreibstube so gut wie entvölkert. Und das zu einer Zeit, in der wir uns vor Arbeit nicht retten können!« Er seufzte affektiert auf. Ich konnte ihn mir nur zu gut als wohlhabenden Kaufmann vorstellen, der in seinem Kontor saß und Zahlenkolonnen addierte. Er stellte den Becher ab, faltete die rundlichen Hände über seinem gemütlichen Spitzbauch und sah zu mir herüber.
    »Ist das der Junge?« fragte er, während er mich aus wäßrigblauen Augen kurzsichtig anblinzelte. Der Leiter bestätigte das. Der Besucher fuhr sich nachdenklich durch das schütter werdende graue Haar. »Ja«, sagte er zögernd, »das ist natürlich schön, daß er lesen und schreiben kann. Aber stumm ...« Er ließ das Doppelkinn auf die Brust sinken und hauchte nachdenklich einen protzigen Siegelring an, den er am linken kleinen Finger trug.
    »Wäre das denn nicht sogar von Vorteil bei einem Schreiber in Euren Diensten, domu ?« beeilte sich der Leiter zu sagen. Ich bemerkte mit neuerwachendem Interesse die formelle Anrede, die er dem Besucher gegenüber verwendete, und besah mir den Mann genauer. Er war klein und korpulent, wenn auch nicht eigentlich fett. Er glich einem üppigen, einladend weich gepolsterten Diwan: eine harmlose Erscheinung, die eher zu einem untergeordneten Beamten paßte als zu einer Persönlichkeit von höherer Stellung, wie die förmliche Anrede des Leiters vermuten ließ.
    Augenscheinlich hatte der Besucher sich inzwischen entschieden. Er griff nach dem schlichten Stock, der neben seinem Stuhl lehnte, stemmte sich auf die Füße und zog umständlich sein hellgraues Wams über dem fülligen Leib zurecht.
    »Gut, mein Lieber, ich nehme ihn mit. Etwas anderes bleibt mir in meiner augenblicklichen Lage ohnehin nicht übrig.« Er zog ein spitzenbesetztes Taschentuch hervor und betupfte seine Nase damit. »Hol's der Teufel, ich fürchte, jetzt habe ich mich auch noch erkältet!« schniefte er und hinkte, schwer auf den Stock gestützt, auf mich zu. »Wie ist dein Name – ach, ich vergaß!« Er blickte fragend zu dem Leiter zurück, der eilfertig in den Papieren auf seinem Tisch blätterte.
    »Wo hatte ich denn ... Hier, domu Karas: Er heißt Elloran. Ein fleißiger, fügsamer Junge«, fügte er hinzu. »Er hatte einige Besitztümer, die muß ich ihm noch holen lassen, und seine Kleider ...«
    Der Mann neben mir winkte ab. »Nicht jetzt, ich bin in Eile. Sei so gut und schicke mir die Sachen zur Burg hinauf.«
    Zur Burg! Sollte dieser Mann wahrhaftig die Lösung meines Problems darstellen? Meine Knie wurden weich, und ich mußte kurz am Türrahmen Halt suchen. Der Mann bemerkte die flüchtige Bewegung im Augenwinkel, und sein Kopf ruckte zu mir herum. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte in seinen Augen etwas auf, das alles andere als harmlos wirkte. Dann war es aber schon vorbei und ich nahm an, mich wegen meines Schwächeanfalls in meiner Wahrnehmung getäuscht zu haben.
    »Ist er etwa krank?« fragte er oberflächlich besorgt.
    »Nein, keine Sorge, Kammerherr. Die Jungen sind nur alle etwas unterernährt. Ihr wißt schon, die Kürzungen im Stadtsäckel betreffen uns stark ...«
    Der Kammerherr nickte verständnisvoll und etwas ungeduldig. »Ich werde sehen, ob sich da etwas für dich tun läßt«, versprach er. Der Leiter dankte dem Kammerherrn mit einem stummen Blick und half ihm in seinen Mantel. Dann reichte er mir seine Hand.
    »Betrage dich anständig, Elloran, dann kannst du vielleicht auf der Burg bleiben. Ich wünsche dir alles Gute und daß wir uns nie wiedersehen müssen!« Eigenartig gerührt drückte ich seine Hand und beeilte mich, dem hüstelnden Kammerherrn zu folgen. Der Pförtner öffnete uns die Tür, und ich stand zum ersten Mal seit Wochen wieder auf einer ganz gewöhnlichen nebelfeuchten Straße. Mir kamen beinahe die Tränen. Viel Zeit für Besinnlichkeit blieb mir allerdings nicht. Der Kammerherr hinkte mir erstaunlich flott voraus und blieb neben einer unauffälligen, zweispännigen Kutsche mit dem Wappen der Krone stehen. »Zurück zur Burg«, befahl er dem livrierten Kutscher, der jetzt geflissentlich vom Bock sprang und seinem Herrn in die Kutsche half. Ich zögerte, ungewiß, ob ich mitgenommen werden würde. Der

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