Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
Vom Netzwerk:
Arbeitshäuser waren ganz sicher eine sehr vernünftige, gut durchdachte Einrichtung, die ich noch weit mehr hätte bewundern können, wenn ich nicht selbst in einem von ihnen festgesteckt hätte.
    In den folgenden Wochen fügte ich mich zähneknirschend in mein Schicksal und fegte den Hof, tat Küchendienst, schrubbte die Böden, reparierte baufällige Mauern und versuchte zu vergessen, daß mir die Zeit davonlief. Wenn meine Großmutter erst nach Kerel Nor zurückgekehrt war, standen meine Chancen äußerst schlecht, hier noch vor dem Frühjahr herauszukommen. Es hatte sich mir noch keine Gelegenheit geboten, das Haus für eine Arbeit zu verlassen. Alle anderen Jungen waren in der Zeit, in der ich hier war, schon mehrfach für kürzere oder längere Zeit draußen gewesen. Jetzt erst begriff ich Symyns Äußerung, daß ich hier so bald nicht herauskäme. Anscheinend legte kein Dienstherr Wert auf einen Stummen. Es sah so aus, als würde ich meine Strafe hier im Haus absitzen müssen.
    Anfangs schmiedete ich noch Fluchtpläne. Aber das war reine Spielerei, um mich abzulenken; die Fenster waren allesamt fest vergittert und der Hof war von einer übermannshohen Mauer umgeben. Selbst wenn ich mich mit allen Kräften bemühte, die obere Kante mit einem Sprung zu erreichen, trennte meine Fingerspitzen immer noch ein guter Meter von der Mauerkrone. Die Eingangshalle durften wir nur in Begleitung eines Betreuers betreten; wer dort ohne Erlaubnis erwischt wurde, wurde schwer bestraft. Symyn, der einschlägige Erfahrung besaß – nicht nur in diesem Haus – verriet mir außerdem, daß die Eingangstüre ständig verschlossen und verriegelt war.
    Zu all den äußeren Hindernissen kam meine schreckliche Stummheit. Ich hatte inzwischen alle Hoffnung aufgegeben, daß dieser Zustand wieder vorübergehen könnte. Der Gedanke kaufte mir nach und nach allen Schneid ab. Ohne Schrecken stellte ich fest, daß ich mich mit allem abzufinden begann. Ich fügte mich in das eintönige, stumpfe Leben des Arbeitshauses, als hätte ich niemals etwas anderes gekannt oder erhofft. Symyn, der einzige, der sich mit mir stummem Fisch abgeben mochte, verließ das Haus zum Ende des Herbstes, weil sein Dienstherr ihn behalten wollte. Von da an war ich völlig isoliert. Ich konnte mit keinem der anderen reden, und die anderen hatten keine Lust, sich in einseitige Unterhaltungen mit mir zu stürzen. Also blieb ich für mich und vergaß beinahe, wie es war, sich mit anderen Menschen in menschlicher Sprache auszutauschen.
    Ich hörte auf, die Tage zu zählen, die ich hier schon festsaß und sah wie alle anderen zu, daß ich meinen gerechten Anteil an den Mahlzeiten bekam – wenn möglich, auch etwas mehr als das, denn die Verpflegung war kärglich – und mir meinen Schlaf zu holen, wann immer sich mir eine Gelegenheit bot. In dieser Zeit lernte ich, zu jeder Tageszeit, in jeder Haltung und von einer Sekunde auf die andere mit offenen Augen einzuschlafen und sofort wieder hellwach zu sein, wenn etwas in meiner Umgebung es erforderte.
    Die Nachrichten von draußen kümmerten mich immer weniger. Ich lauschte zwar hin und wieder noch den Erzählungen der anderen, aber die Außenwelt war zu einem verschwommenen Bild für mich geworden: etwas, das es vielleicht sogar geben mochte, das aber unerreichbar und damit reizlos für mich geworden war. Noch nicht einmal die Gerüchte über einen drohenden Krieg zwischen den Kronstaaten und S'aavara vermochten meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Abgestumpft wanderte ich durch die Gleichförmigkeit der Tage. Dieser eintönige Trott erfuhr erst irgendwann gegen Anfang des Winters seine Unterbrechung, als eine Welle von Erkrankungen durch die Stadt ging, wie einer der gerade zurückgekehrten Jungen berichtete. Fast ein Drittel der Stadtbewohner litten an einem lästigen Fieber, das zwar nicht tödlich war, die Betroffenen aber für längere Zeit ans Bett fesselte. Nur dank unserer Abgeschlossenheit von der Außenwelt waren wir bisher davon verschont geblieben.
    Eines Mittags in der Viertwoche des Hohen Winters betrat ich das Zimmer des Leiters. Er hatte mich rufen lassen, das erste Mal, seit ich hier war. Aber noch nicht einmal dieses einmalige Ereignis riß mich aus meiner grausamen Lethargie. Gleichgültig blieb ich an der Tür stehen und hörte die letzten Worte mit an, die der unauffällig gekleidete, ältere Mann, der neben dem Tisch saß, mit einer sanften, kultivierten Stimme äußerte.
    »Es ist wirklich zu

Weitere Kostenlose Bücher