Ellorans Traum
der Magier? Magramanir stieß ein höhnisches Keckern aus und spreizte abflugbereit die Flügel.
»Einen Augenblick Geduld noch, Mag«, sagte Julian gereizt. »Hör zu, Elloran, ich lasse mir irgend etwas einfallen. Kommst du einstweilen auch so klar?« Ich nickte ernüchtert.
Magramanir, erleichtert, daß sie nicht mehr stillsitzen mußte, schwang sich auf und verfolgte einen erschreckten kleinen Spatzen. Ich blieb neben dem Brunnenrand hocken und lehnte meinen schmerzenden Kopf an die kühlen Steine. So fand mich etwas später Senn, der mich zum Frühstück holen wollte. Um ihn nicht zu verletzen, zwang ich ein paar Mundvoll Nußbrei herunter, wobei er mich breit lächelnd beobachtete.
»Du verträgst nicht viel, Bürschchen«, dröhnte er und klatschte mir auf den Rücken. Das hätte fast zur Folge gehabt, daß mir mein spärliches Frühstück wieder aus dem Gesicht gefallen wäre, aber es gelang mir, mich zu beherrschen. Ich fühlte mich ohnehin schon blamiert genug. »Egal, das lernst du schon noch!« Es klang fast drohend. Ich nickte blaß und war froh, wieder auf dem Karren sitzen zu dürfen.
Dieser Tag war genau wie der vergangene, mit dem Unterschied, daß ich, durch Schaden klug geworden, den dargebotenen Weinschlauch verschmähte und mich an meinen Wasservorrat hielt. Senn lenkte mich mit weiteren Kostproben seines unerschöpflichen Repertoires an schmutzigen Liedern und obszönen Geschichten von meinen revoltierenden Eingeweiden ab. Ich hörte ihm aufmerksam zu. Der Himmel mochte wissen, wofür ich all das einmal würde brauchen können.
Am späten Nachmittag, während gerade die deftige Geschichte von der Bauersfrau, die von ihrem Mann mit dem Knecht im Heu erwischt wurde, ihrem unvermeidlichen Höhepunkt zusteuerte, rollten wir über die westliche Brücke nach Kronstadt hinein. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ich hatte noch nie in meinem ganzen Leben so viele Menschen auf einem Fleck versammelt gesehen, noch nicht einmal an den Markttagen von Corynn. Auf der gemauerten Brücke drängten sich Karren wie der Senns neben Fußvolk mit Handwagen und Vieh, dazwischen bahnten sich staubbedeckte Reiter mühsam ihren Weg. Weit vor uns blitzten Speerspitzen, und farbige Banner flatterten in der Luft; das mußte die Eskorte eines hochgestellten Herren sein. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm, der sich noch steigerte, als wir uns schrittweise dem Stadttor näherten. Neben unserem Karren fluchte ein dunkelhäutiger Reiter in der weichen Mundart von Olyss. Er trug den hellen Mantel eines Boten und sah erschöpft aus. Es waren überhaupt erstaunlich viele Fremde hier. Hinter uns rollte eine kleine, geschlossene Kutsche mit dem Wappen eines norrländischen Adligen und einem grobknochigen, weißblonden Kutscher auf dem Bock. Das edle Paar Grauschimmel, das die Kutsche zog, war sichtlich ermüdet und verstört von all dem Lärm und dem Getriebe rundum.
Stückchen für Stückchen rückten wir dem Stadttor näher. Die Kronstadt war von einer rötlichgrauen, mehrere Meter hohen und sicherlich mannsdicken Steinmauer umgeben. Das Tor, dem wir uns näherten, besaß riesige Torflügel aus Eisenholz, die wahrscheinlich nur durch den vereinten Krafteinsatz mehrerer starker Männer bewegt werden konnten. Allerdings wiesen alle Anzeichen darauf hin, daß das in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal vorgekommen sein konnte: Die Angeln waren moosbedeckt, niedriges Gebüsch wucherte im Türspalt, und roter Efeu rankte sich an dem rissigen, dunklen Holz empor und breitete sich auf der Stadtmauer aus.
Vor lauter Gaffen und Staunen hatte ich inzwischen den Anschluß an Senns Geschichte verpaßt. » ... sagte die Bäuerin: ›Wenn ihr euch so anstellt, dann hole ich mir eben den Stier!‹« schloß er gerade triumphierend und brach in brüllendes Gelächter aus. Ich grinste höflich und stieß ihn in die Seite. Immer noch lachend, blickte er auf meinen ausgestreckten Finger und dann auf das, worauf ich deutete. Zwei Wachsoldaten standen am Tor und kontrollierten Papiere und Gepäck der Reisenden.
Senn hörte auf zu lachen und zog die Stirn kraus. »Seltsam«, brummte er. »Ich bin hier noch nie angehalten worden.« Er grinste wieder. »Wahrscheinlich die allerneueste Art, das Stadtsäckel zu füllen, wart's nur ab. Sie werden uns irgendeinen Zoll abknöpfen.« Ich seufzte. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Hoffentlich reichten meine spärlichen Mittel dafür aus.
Senn sah mich verständnisvoll an.
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