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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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ihn. Selbst die unlogischsten Dinge klangen aus Lorenz’ Mund wie unumstößliche Wahrheiten und wurden widerspruchslos akzeptiert.
    Der Billardtisch befand sich in einem separaten Raum. An der Theke vorbei, an der Treppe vorbei, die zu den Toiletten führte, einen schmalen Gang entlang und die letzte Tür auf der rechten Seite.
    Ich wollte Elsa zu verstehen geben, dass sie mit uns kommen sollte, aber die dunklen Brillengläser verunmöglichten jede stumme Kontaktaufnahme.
    Die Wirtin blockierte den Weg. Unser kleiner Konvoi – vorneweg mein Bruder, dann die Nesshauers, dann ich, das Schlusslicht – bremste ab.
    »Kinder, passt ein bisschen auf, und macht mir nicht wieder das Billardtuch kaputt. Wisst ihr, wie teuer es ist, den Tisch neu bespannen zu lassen? Ihr müsst…« Während sie sprach, bemerkte ich etwas. Ich hatte es schon oft gesehen, doch nie beachtet. Auf dem Tresen lag das prallgefüllte Portemonnaie der Wirtin. Dort lag es Abend für Abend wie ein faules Kätzchen. Erst wenn Frau Wiesinger abkassierte, verließ es seinen Platz. So war das in unserem Dorf: Die Haustüren standen Tag und Nacht offen, in den Autos steckten die Zündschlüssel, und die Geldbörse der Wirtin wartete unbeaufsichtigt auf ihren Einsatz.
    Der Abend war noch jung, keiner würde in der nächsten halben Stunde die Rechnung verlangen. Ich musste nur meine Hand ausstrecken, das Portemonnaie unter mein T-Shirt schieben, auf die Toilette laufen, 160   Mark herausholen und es wieder zurücklegen.
    Noch predigte die alte Wiesinger. Lange würde es nicht mehr dauern, sie war schon bei der Kreide – die wir am besten gar nicht anrühren sollten – angelangt. Herr Wiesinger und die Aushilfe hantierten in der Küche, an den Tischen wurde getrunken und gelacht, niemand achtete auf uns.
    »Sonst schließ ich das Zimmer ab, verstanden?!«, beendete die Wirtin ihre Litanei. Ich griff nach dem Portemonnaie. Mit einer Gelassenheit, die ich mir niemals zugetraut hätte, steckte ich es unter mein T-Shirt. Angeführt von meinem Bruder, setzten wir uns in Bewegung. Vor der Treppe löste ich mich aus der Kolonne und rannte hinunter.
    Das Herrenklo – drei Pissoirs und eine Kabine – war leer. Noch immer agierte ich eiskalt wie ein Profidieb, erst als ich die Kabinentür hinter mir zugeschlossen hatte, verwandelte ich mich zurück in einen nicht besonders geschickten, dicken Jungen. Das Portemonnaie fiel zu Boden. Mit zitternden Händen hob ich es auf. ›Schneller‹, ermahnte ich mich und betete, dass der Ganove, der seine Beute so kühn hierhergeschleppt hatte, ein zweites Mal von mir Besitz ergreifen würde. Vergeblich. Zwar hörte das Zittern auf, aber jetzt saß ich wie versteinert auf dem Klodeckel, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.
    Schritte auf dem Gang. Die Tür ging auf. Es klopfte an der Kabine. Mir war schlecht.
    »Karl, komm sofort da raus«, ertönte Gustav Gröhlers Stimme.
    Ich suchte nach einem Fenster, einem Schlupfloch, obwohl ich wusste, dass es in der grau gekachelten Zelle nichts dergleichen gab. In ausweglosen Situationen hofft man eben auf Wunder.
    »Karl, mach auf.«
    Ich antwortete nicht.
    »Karl, ich habe alles gesehen. Willst du, dass ich Frau Wiesinger hole?«
    »Nein. Bitte…«
    »Dann öffne jetzt.«
    Ich gehorchte. Vielleicht war es die Enge der Kabine, die Gustav riesenhaft wirken ließ. Sein beiges Polohemd roch nach Waschmittel und frischem Schweiß. Seit dem Krawattenvorfall hatte sich meine einstige Sympathie für den Marathonläufer verflüchtigt. Er riss mir das Portemonnaie aus der Hand, packte mich am Kragen und zog mich näher.
    »Und jetzt überleg dir genau, was du sagst, und untersteh dich, mich anzulügen. Hast du schon etwas rausgenommen?«
    »Nein.«
    »Aber du wolltest?«
    »Ja.«
    »Wofür?«
    Ich fing an zu weinen, was sollte ich denn tun?
    »Wofür, Karl?«
    Meine Tränen rührten ihn nicht. Gustav schüttelte mich.
    »Wofür?«
    »Stiefel… Für Elsa… Elsa braucht Stiefel.«
    Was hatte ich nur getan? Ich war kein Held, aber musste ich mich denn gleich wie der erbärmlichste aller Feiglinge gebärden?
    »Hat sie dich dazu angestiftet?«
    »Nein. Sie… Nein.«
    »Und warum braucht Elsa Stiefel? Mitten im Sommer?«
    »Weil… Weil es wichtig ist.«
    »Und wie viel kosten die Stiefel?«
    »160   Mark.«
    »160   Mark? Das sind teure Stiefel.«
    Ich nickte.
    »Und Elsa muss genau diese Stiefel haben?«
    »Ja.«
    Endlich ließ Gustav mein T-Shirt los. Er fuhr sich durch die vollen

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