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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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sie.
    »Werde ich nicht, werde ich verdammt noch mal nicht. Erst nimmst du es zurück.« Er packte ihre Hände. Sie bäumte sich auf, die Holzclogs malträtierten Lorenz’ Schienbeine. Er riss sie an den Haaren. Elsas Lippen bebten vor Schmerz, und ich stand einfach daneben.
    Sie holte aus und kratzte mit ihren Scharlach-Nägeln über Lorenz’ Gesicht. Vorsichtig betastete er die Schürfwunde auf seiner Wange. Es blutete. Nur ganz leicht. Aber die roten Tröpfchen ließen beide erstarren. Es war totenstill.
    »Ich nehme es zurück«, flüsterte Elsa.
    »Ich auch«, antwortete Lorenz. Dann sah er mich an. »Kannst du mir Klopapier holen?«
    Ich rannte los. Als ich zurückkam, sah alles aus wie zuvor. Sie schienen sich keinen Millimeter bewegt zu haben, und trotzdem hatte sich etwas verändert. Aber ich konnte nicht ausmachen, was es war.
    Es lagen noch die letzten Tage des Julis und der ganze August vor uns, bis die Schule wieder anfangen würde.
    Oft waren wir zu dritt unterwegs, aber es gab auch viele Stunden, die ich mit Elsa allein verbrachte. Sie saß gern in der Scheune zwischen den Autowracks, die seit dem Jahr des Unfalls dort vermoderten.
    »Vielleicht kommt irgendwann ein Wagen und nimmt mich mit«, sagte sie oft.
    Schon bald gewöhnte Elsa sich an, abends auszubüxen, um mit Lorenz und mir den Geschichten des Murmeltiers zu lauschen. Auf Zehenspitzen, die Stiefel in der Hand, schlich sie unsere Treppen hinauf. Leise, um die Kratzlerin nicht zu wecken.
    Das Murmeltier schleppte für Elsa seinen Schaukelstuhl und eine dritte Decke in das Kinderzimmer. Aber manchmal zog sie es vor, neben meinem Bruder oder mir im Bett zu sitzen. Hinterher brachte das Murmeltier sie nach Hause. Ab und zu durften Lorenz und ich mitgehen, je nachdem, wie spät es war. Wir begleiteten Elsa bis zu dem grüngestrichenen Zaun, sahen zu, wie sie den Hügel hochlief und durch das angelehnte Erkerfenster verschwand.
    Mittlerweile fragte auch Elsa das Murmeltier täglich, ob er Erkenntnis erlangt habe, und ließ ihn versprechen, sie nicht zu übergehen, wenn es so weit wäre.
    »Wo sind deine Stiefel?«, fragte das Murmeltier, als Elsa barfuß und mit leeren Händen in unserem Zimmer stand.
    »Vergessen. Ich bin gerannt.« Sie zupfte an den verrutschten Krawatten, warf einen kurzen Blick zu Lorenz, dann zu mir, entschied sich aber für den Schaukelstuhl.
    »Es war mein erster Tag in Paris«, begann das Murmeltier und zündete sich eine Zigarre an. »Ich saß draußen in einem Restaurant, die Abendsonne tauchte alles in ein unwirkliches Licht. Feierlich erhob ich mein Glas und schwor mir, dass ich mich zukünftig vor den Weibern in Acht nehmen würde. Paris sollte ein Neuanfang werden.
    ›Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?‹, ertönte eine Stimme dicht neben meinem Ohr. Julie. Rote Haare. Riesiger Busen. Ehefrau eines erfolgreichen Anwalts und Mutter zweier Kinder. Wenig später fand ich mich auf dem Dachboden ihrer Stadtvilla wieder. Zwischen ausrangierten Möbeln und Koffern richtete Julie uns ein Lager her und riss mir die Kleider vom Leib. Ihre Brüste hingen über meinem Gesicht. Wie eine Furie ritt sie auf mir.«
    »Was ist eine Furie?«, fragte Lorenz.
    »Eine Furie ist eine Rachegöttin.«
    »Und wofür wollte sich Julie rächen?«
    »Ach Kinder, die Weiber wollen sich immer rächen. Nur meistens versäumen sie es, sich an demjenigen zu rächen, der ihnen etwas angetan hat. Und der Nächste, der daherkommt, muss seinen Kopf hinhalten.« Das Murmeltier lächelte. »Ausgerechnet Julie, dieses tollwütige Biest, roch nach Mimosen.«
    »Wie riechen Mimosen?«, wollte Elsa wissen.
    »Eine schwierige Frage… Sie riechen wie… nach… Oh, Elsa, kleine Elsa, ich muss dir mal einen Strauß Mimosen schenken.
    Zwei Monate hauste ich auf dem Dachboden. Mindestens zehnmal täglich kam Julie hoch. Kam auf mir, unter mir, neben mir und bekam doch nie genug. Wenn der Ehemann und die Kinder aus dem Haus waren, nahm ich ein Bad. Aber schon das Treppensteigen erschöpfte mich, Julies Unersättlichkeit zehrte an meinen Kräften.«
    »Bist du nie rausgegangen?«
    »Nein. Julies Riesenbrüste waren meine ganze Welt.«
    »Wo hast du hingemacht, wenn du pinkeln musstest?«
    »In einen Nachttopf.«
    »Und wenn du Hunger hattest?«
    »Sie gab mir zu essen.«
    »Und dir war nicht langweilig?«
    »Nein, es hätte ewig so weitergehen können. Aber Julie wurde unvorsichtig. Eines Abends, als sie mich zum dritten Mal

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