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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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sagenhafte 250   000   Dollar. Es kursierte das Gerücht, es handle sich um denselben Unbekannten, der auch die erste Lizenz ersteigert hatte.
    Das Artfact Magazine kündigte für die Juniausgabe ein Porträt über meinen Bruder an: ›Brauer – ein neuer Meister‹.
    Der Seitenhieb auf Mirbergs Essay ließ mich vermuten, dass ein bis zwei Frauen bei der Titelfindung ihre Finger mit im Spiel hatten.
    Ein Rahmen aus Elsbeerholz, 363   Zentimeter hoch und 473   Zentimeter breit, plus ein Metallkoffer mit Videoaufzeichnungen wurden nach New York verschifft.
    »Wo wird das Zeug eigentlich hingeliefert? Ich meine, es hat ja niemand die Adresse. Anonym, mmh?«
    »Ins Auktionshaus, und dort weiß man, wer der Käufer ist. Kapitel 6, bitte. ›Der Flug der Graugans‹.«
    Vera und Lorenz waren verheiratet und ein Stück Ewigkeit versteigert. Aber die Brauers kamen nicht zurück, sondern flitterten in den Hamptons. Die Festung blieb für alle Menschen und alle Hunde verschlossen und ich in Den Haag.
    Die Tage verliefen angenehm eintönig. Ich nahm wieder meine Spaziergänge durch die Graham-Villa auf, öffnete Türen, badete allnächtlich. Ich schaffte es sogar, meinen Medizinkonsum ein wenig einzuschränken. Nur das Hausmädchen wollte nicht mehr mit mir schlafen.
    Mrs.   Graham wirkte zwar gebrechlicher als im vergangenen Jahr, aber geistig vollkommen präsent. Sie redete klar und deutlich, die außerirdischen Laute waren Vergangenheit. Da Irina aber nach wie vor auf ihre Besuche bei Andromeda verzichten musste, zwang sie ihren Gärtner, täglich ins Mauritshuis zu fahren, um – trotz Fotografierverbot – mit einer Digitalkamera die Tochter der Kassiopeia abzulichten.
    »Irgendwann kriege ich dort einen Herzinfarkt«, klagte Jaap. »Diese Museumsaufseher! Lieber Autos stehlen, das meine ich im Ernst, lieber Autos stehlen…«
    Obwohl die Welt kein verheißungsvoller Ort war, jede Menschenansammlung Panik bei mir auslöste und ich immer noch aussah, als ob die Pest oder eine andere längst ausgerottete Krankheit mich heimgesucht hätte, übernahm ich Jaaps Aufgabe. Die Erinnerung an Elsa trieb mich hin.
    Sobald das Museum seine Tore öffnete, trat ich ein. Mein Blick streifte nicht einmal die anderen Werke. Gefesselt wie eh und je grüßte die kleine Andromeda.
    Die Beleuchtung des Mauritshuis verlangte Blitzlicht. Ich wartete auf einen günstigen Moment und drückte ab.
    Jedes Mal, wenn der helle Schein die fast nackte Königstochter traf, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, und für den Bruchteil einer Sekunde lösten sich Andromedas Ketten, doch die Digitalkamera vermochte den Augenblick der Befreiung nicht zu bannen. Unbeweisbare Heldentaten behält man besser für sich. Aber eines Tages brach ›Der Flug der Graugans‹ mein Schweigen.
    »Kapitel 6«, forderte Irina, nachdem ich ihr die Andromeda-Aufnahmen gezeigt hatte.
    »Mrs.   Graham, wie wäre es, wenn ich heute mal etwas anderes vorlese. Wir können es doch beide schon auswendig. Vielleicht ›Die Aufzucht der Graugans‹?«
    »Kapitel 6.«
    »Oder das…«
    »Kapitel 6. ›Der Flug der Graugans‹.«
    Ich klappte das Buch zu. »Mrs.   Graham, sie lächelt.«
    »Wie bitte?«
    »Andromeda. Wenn die Kamera blitzt, dann lächelt sie, und ihre Ketten lösen sich. Nur ganz kurz, aber ich habe es gesehen. Ich schwöre es Ihnen. Ich habe es gesehen.«
    Was für eine Reaktion ich auf meine Nachricht auch erwartet haben mochte, sie blieb aus. Irina schloss ihre Augen und schwieg.
    »Mrs.   Graham, Sie werden mir nie erzählen, was ihr passiert ist, als sie achtzehn Jahre, vier Monate und einundzwanzig Tage alt war?«
    Stille. Doch als ich aufstehen und das Zimmer verlassen wollte, griff sie nach meiner Hand.
    »Es ist nicht wichtig, was ihr passiert ist. Aber sie ist untröstlich. Rembrandt muss ein kluger Mann gewesen sein, dass er jenen Moment der Einsamkeit gewählt hat, um Andromedas Geschichte zu erzählen. Es braucht nur wenige Stunden, um ein Mädchen für immer festzuketten.«
    »Das Bild? Kann das Bild Sie trösten?«, fragte ich.
    Irina lächelte. »Es kann heilsam sein, sich selbst im Spiegel der Fiktion wiederzufinden.«
    »Und Mirberg wusste…«
    »Genug, genug.« Sie ließ meine Hand abrupt los. »Kapitel 6 . «
    Während ich vorlas, hallte es in meinem Kopf: untröstlich. Ein ums andere Mal folgten zwei Graugänse ihrer verletzten Artgenossin, beschützten sie und halfen ihr.
    Erst als Mrs.   Graham schlief, legte ich das Buch zur Seite und

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