Elsa ungeheuer (German Edition)
Flasche Bunnahabhain. Das Windspiel klemmte ich mir unter den Arm, den Whiskey nahm ich in die Hand. Tier, Herr und Flasche fanden ein freies Ledersofa.
Ich trank den Single Malt, während das Hündchen auf meinen Schoß pisste. Ängstlich schaute es mich aus seinen braunen, hervorstehenden Augen an.
»Egal«, sagte ich und tätschelte seinen fragilen Körper.
»Du bist doch Brauers Bruder?«
Ihre Haare waren glatt wie ein Vorhang, ihre Fesseln schmal, und ihr Lächeln – das sah man sofort – schenkte sie jedem. Alles war verkehrt. Außer der nachtblauen Taftbluse, eine Botschaft aus dem Lande Oz.
»Darf ich?« Sie deutete auf den Platz neben mir.
»Bitte.«
»Ich heiße Melly. Und du?«
»Karl.«
»Es riecht komisch hier.«
»Der Hund hat auf meine Hose gepinkelt.«
»Dann solltest du sie ausziehen.« Sie lächelte. »Machst du auch was mit Kunst?«
»Ich verkaufe Einhörner«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
»Und in Wirklichkeit?«
»Was soll das heißen?«
Meine Finger glitten über den transparenten Taft. Ich küsste Mellys Hals, küsste ihn, um den Stoff an meiner Wange spüren zu können.
»Es gibt keine Einhörner«, sagte sie.
Zärtlich legte ich meine Hand auf ihren Mund, obwohl ich gern zugeschlagen hätte. »Sag das nicht, das ist grausam.«
Das Windspiel, der Mann und die Frau marschierten treppauf, die Flasche kam mit. Dieses Mal entschied ich mich für die letzte Tür. Das Gästezimmer.
Ich knöpfte ihre Bluse auf, zog sie ihr aus. Presste den Taft gegen meine Brust, während Melly sich ihrer restlichen Kleidung entledigte. Sie streckte sich auf dem Bett aus, streckte ihre Arme aus. »Komm, komm zu mir.« Aber ich war gefangen in dem Blau der Nacht und hörte eine Stimme, die ich verbannt zu haben glaubte. Folgst mir noch immer, Fetti?
»Ja«, sagte ich laut.
Das Windspiel kauerte zu meinen Füßen. Ich packte das Tier und rannte los.
»Meine Bluse!«, schrie Melly. »Du kannst doch nicht mit meiner Bluse abhauen!«
Es war nicht ihre Bluse, es war eine Nachricht von dem vollkommensten Mädchen der Welt.
Der Mann, der Hund und ein Knäuel Stoff irrten durch den Novemberregen, bis sie ein Taxi fanden.
In der Fabrikhalle stieg ich aus dem nassen, vollgepinkelten Anzug und rollte mich auf dem Bärenfell zusammen. Mit dem blauen Stoff bedeckte ich meine Scham, der Welpe schmiegte sich an mich. Vor uns die Ewigkeit . Motiv 4 hatte den Schatten des schwimmenden Jungen fast gänzlich verdrängt.
Der Stille folgte die Erkenntnis . In der Mitte der Leinwand das zweigeteilte Gesicht des Murmeltiers. Die rechte Hälfte zeigte sein jugendliches Antlitz, links war der gute Geist unserer Kindheit bereits ergraut, von Falten gezeichnet. Gespreizte Schenkel und Frauenbrüste, aus deren Warzen Arme wuchsen, umkreisten den alten Mann wie Planeten, während sie den jungen Mann würgten und zu zerquetschen drohten.
4 von 86. Wäre die Vollendung von Brauers Schöpfung nicht das einzig erträgliche Finale der Geschichte? Doch die Schöpfer des Schöpfers schienen anders zu denken.
Und deshalb lag ich hier, nackt auf einem Bärenfell. Weil ich fürchtete, dass zwei Frauen meinem Bruder nach dem Leben trachteten.
Ich lag hier, nackt auf einem Bärenfell, weil ich nicht mehr wusste, was wahr war und was nicht.
Ich lag hier, weil die Stürme des Lebens mich erfasst hatten und nach Belieben umherstießen.
Frenzen und sein Krebs Vincent erlebten die ersten acht Tage des neuen Jahrtausends. Der Tod kam, während sie schliefen.
Die Beerdigung fand auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof statt. Vera entschied, dass man diese Einladung getrost ignorieren konnte. Ich ging trotzdem hin. Das Windspiel, das ich nach Brauerscher Familientradition auf den Namen Windspiel getauft hatte, begleitete mich.
Windspiel übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Veras Medizin in der Blutbahn und in der Hosentasche, das Tier an meiner Seite, nur so wagte ich die Festung zu verlassen.
Auf dem Friedhof herrschte Hundeverbot. Aus Angst, rausgeschmissen zu werden, postierten wir uns in einiger Entfernung des Grabes. Ob Kälte oder Verzweiflung die schwarzgekleideten Menschen erbeben ließ, ob der Wind heulte oder die Trauergemeinde, war von hier nicht auszumachen.
»Wie viele Lichtkilometermillionenjahre sind es bis zur Hölle?« Ein Kind mit einer dicken Brille auf der Nase zupfte an meinem Ärmel.
»Ich… Ähm…«
Der Junge sah mich flehend an. Er wartete.
»740. Ungefähr… Vielleicht auch 741«, sagte ich, um
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