Elysion: Roman (German Edition)
und blieb dann keuchend neben ihm liegen. Sein Pullover war voller Blut.
Auch das Hemd ihres Vaters war eine einzige Blutlache. Und sein Atem ging stoßweise. Mit einer Hand zog er sich das Hemd aus der Hose. Etwas oberhalb seines Hüftknochens klaffte ein Loch in der Haut, aus dem in regelmäßigen Wellen Blut sickerte.
»Vater«, sagte sie noch einmal, stürzte an seine Seite und kniete sich neben ihn.
Seine Rechte ließ die Pistole, die er bis hierhin gehalten hatte, los. Sie rutschte von seiner Brust und fiel mit einem sanften Poltern auf den Boden.
15
»Cooper, hör zu, es tut …«
»Sag nichts, Vater«, fiel sie ihm ins Wort. »Es ist nicht gut, wenn du jetzt sprichst.«
Sie hatte ihm einen Druckverband angelegt und damit die Blutung zum Stoppen gebracht. Aber der Wundschmerz hatte ihm für ein paar Minuten die Besinnung geraubt. Sie spürte einen bohrenden Blick in ihrem Nacken und drehte sich um.
Jimmy.
Sie versuchte, in seinen Augen zu lesen. War da ein Vorwurf? War es Hass? Was auch immer es war, es tat weh, wenn er sie so ansah. Doch sie konnte es ihm kaum verdenken. Ihr Vater hatte, so schien es, seinen Bruder getötet. Kein Wunder, dass er ihn verabscheute. Aber er war nun mal ihr Vater.
Bevor sie das Wort an Jimmy richten konnte, wandte er sich ab und ging wortlos zu den anderen Kindern, wo der orientalisch wirkende Junge mit düsterem Blick auf ihn wartete. Die beiden fingen an zu wispern. Cooper hatte sich noch nie so allein gefühlt.
Da saß sie an der Seite ihres Vaters, eines sterbenden Mörders. Ja, er war dem Tod geweiht. Zwar war sie kein Arzt, aber sie hatte genug Erfahrung mit Bauchwunden dieser Art, um zu wissen, dass er ohne chirurgische Versorgung sterben würde, und die war hier unten nun mal nicht zu kriegen. Sie konnte nicht sagen, wie lange es dauern würde, vielleicht waren es sogar Stunden, aber dass er vom Tod gezeichnet war, war sicher.
»Cooper …« Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. »Cooper … ich muss dir etwas sagen …«
Er versuchte, seinen Oberkörper vom Boden nach oben zu drücken, doch sie hinderte ihn mit sanftem Druck. »Das kannst du mir später erzählen. Jetzt musst du dich ausruhen. Ich werde dir was gegen die Schmerzen besorgen.«
Sie stand auf und ging zu einem der Regale mit den Medikamenten. Irgendwo hatte sie doch eben noch Morphium gesehen. Sie ließ ihren Blick über die Schachteln schweifen, als sie hinter sich Schritte hörte.
»Was machst du da?«
Sie fuhr herum.
Rasim und Jimmy standen mit finsteren Mienen hinter ihr. Der Orientale hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
»Was geht euch das an?«, sagte sie trotzig, drehte sich wieder um und fuhr fort, nach dem Morphium zu suchen. Sie fand es, drehte sich erneut um und wollte sich an Jimmy vorbeidrängeln, doch er hielt ihren Arm fest.
»Lass mich sofort los!«, fauchte sie ihn an.
»Was ist das für ein Zeug?«, fragte Jimmy.
»Das geht dich einen feuchten Kehricht an!«
»Der Typ hat meinen Bruder gekillt. Der verdient keine Hilfe.«
»Der Typ ist mein Vater!«
»Eben wollte er dich noch erschießen«, warf Rasim ein, der neben ihnen stand.
»Ist meine Sache, oder?«, entgegnete Cooper trotzig. Dann wandte sie sich wieder Jimmy zu. »Und jetzt lass meinen Arm los, bevor es dir noch leidtut.«
Jimmys innerer Kampf spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. Kurz flackerte sein Blick zu Rasim hinüber.
Cooper nutzte den Moment der Entscheidungslosigkeit und riss sich mit einem Ruck los. Sollte er nur versuchen, sie noch einmal zu packen.
Doch als sie zu ihrem Vater ging, hörte sie hinter sich keine Schritte.
Sie kniete sich wieder neben ihn. Sein Gesicht war aschfahl, und die Wangen waren eingefallen. Er war ihr bei der ersten Begegnung schon alt erschienen, doch jetzt sah er aus wie ein Greis. Seine Brust hob und senkte sich ruckartig und schnell.
Als er sie sah, begannen seine Augenlider zu flattern, und seine Lippen bewegten sich, doch offensichtlich war er schon zu schwach, um etwas zu sagen. Cooper aber konnte die Worte an seinen Lippen ablesen: Es tut mir leid.
Sie senkte den Blick und mied den seinen. Er sollte nicht sehen, wie nahe sie den Tränen war. Schwer zu sagen, was sie in diesem Moment fühlte. Schmerz? Trauer? Wut? Sie wusste es nicht. Eine Welt war vor wenigen Minuten für immer untergegangen. Eine Welt, in der ein kleines verlassenes Mädchen sein ganzes Leben einer Hoffnung hinterhergejagt war, einem Wunsch nach Heilung, nach Erlösung.
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