Elysion: Roman (German Edition)
deinen dünnen Hals umdrehen, dachte er. Oder noch besser – ich erzähle Cooper die Wahrheit über ihre »Rettung«.
Unruhig warf er sich eine Weile lang auf den Matratzen von einer Seite auf die andere. Ab und zu drang durch die dicke Metalltür die Ahnung eines Schluchzers an sein Ohr. Der Gedanke an die beiden und dass Big Mama wahrscheinlich wieder einmal die Gelegenheit nutzte, hinter seinem Rücken über ihn herzuziehen, machte ihn noch wütender, als er ohnehin schon war.
In solchen Momenten bestand sein wirksamster Launeaufheller darin, es Stacy ordentlich zu besorgen. Aber das kam an diesem Tag wohl kaum infrage. Also was tun? Fast wie von selbst fanden seine Finger den Weg zu der kleinen Blechkiste, in der er seine intimsten Habseligkeiten aufbewahrte. Er horchte noch einmal kurz in Richtung Tür. Stille, höchstens die Andeutung von Gewisper. Kein Wunder, die Werkshalle war riesig, und die Sofaecke, in die sich Stacy und Big Mama wahrscheinlich verkrochen hatten, befand sich ganz am anderen Ende. Gut so. Vorsichtig zog er die Kiste auf die Matratze und stellte die Kombination auf dem altertümlichen Nummernschloss ein. Dann öffnete er den Deckel.
Unter einem Stapel alter Holografien lag eine kleine Keramikphiole in Form eines fliegenden Drachen. Er hatte sie in einem verlassenen Esoterikladen gefunden. Verstaubt, mit ein paar kleinen Absplitterungen hier und dort, aber irgendwie cool. Er zog den detailliert gearbeiteten Kopf ab, der den Verschluss des Gefäßes bildete, dann ließ er ein paar Tropfen der darin enthaltenen Flüssigkeit in den Teller seiner linken Hand tropfen. Es dauerte eine Weile. Die Flüssigkeit war dunkel und zäh. Sie duftete nach feuchter Straße. Vorsichtig verteilte er etwas davon mit dem Finger über sein Zahnfleisch und massierte sie ein.
Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Der Flug der Stubenfliege, die eben noch hektisch um den Kandelaber herumgeschwirrt war, verlangsamte sich zu einer Art Zeitlupe. Statt des gleichmäßigen Surrens vernahm er jeden einzelnen Flügelschlag. Gleichzeitig fielen ihm Dinge in dem Zimmer auf, die er zuvor noch nie bemerkt hatte. Eine winzige Spinne, die halb hinter Stacys Schminkspiegel verborgen ein kugelförmiges Netz gewoben hatte. Ein haarfeiner Riss in der Außenwand, durch den sommerliche Hitze hereinströmte. Das leichte Vibrieren der Plastikfolie, die eines der Glaselemente im einzigen Fenster des Raums ersetzte. Die Beobachtungen erfüllten ihn mit einer nervösen Euphorie.
Er konzentrierte sich auf seine Hand, die sofort vor seinen Augen zu flimmern begann. Langsam ließ er seine Fingerspitzen in die Oberfläche der Matratze gleiten, bis seine Hand etwa bis kurz über das Gelenk verschwunden war. Neugierig fragte er sich, wie lange er den Zustand würde halten können. Nach etwa einer halben Minute begannen seine Finger zu kribbeln. Ein ekelhaft pelziges Gefühl. Das Zeichen, dass die Moleküle kurz davor waren, eine Verbindung einzugehen. Schnell zog er die Hand wieder heraus. Keinesfalls wollte er als der Junge mit der Matratzenhand enden.
Träumerisch wandte er sich wieder der Beobachtung der Fliege zu. Er hatte gehört, dass manche von McCanns Männern die Kunst beherrschten, länger als eine Minute mit festem Mauerwerk zu verschmelzen, ohne allzu gravierende Verletzungen davonzutragen. McCann hatte recht, und Cooper hatte unrecht. Teer war keine Gefahr. Teer war der Schlüssel. Nur durch Teer würden die Menschen die Kontrolle über die Welt wieder von den Malachim zurückerobern können. Irgendein höheres Wesen hatte es offensichtlich so bestimmt, dass die Malachim das Mittel zu ihrem eigenen Niedergang in sich trugen. Nicht, dass Brent irgendwie religiös gewesen wäre, wie zum Beispiel diese Verrückten, die sich unten in Beauregard in alten Kirchen trafen und den Jüngsten Tag herbeibeteten. Aber vielleicht war diese Heimsuchung tatsächlich eine Art Probe für die Menschheit.
Sein Bruder Rip war vor ein paar Monaten von McCanns Männern aufgenommen worden, nachdem er jenes geheimnisumwitterte Aufnahmeritual bestanden hatte, dass sie »Hell Dive« nannten. Auch Brent hatte sich beworben, aber McCann hatte ihm erklärt, dass Brent ihm fürs Erste nützlicher war, wenn er Cooper zur Hand ging. Brent war mehr als enttäuscht gewesen. Aber Rip hatte ihm später von einem Gespräch mit McCann berichtet. Dabei hatte McCann seinem Bruder »zwischen den Zeilen«, wie Rip es ausdrückte, zu verstehen gegeben, dass
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