Elysion: Roman (German Edition)
riesige dunkle Augen blitzten ihnen entgegen. Big Mama. Sie zog den Korb näher an die Öffnung heran und arretierte ihn mit einem Haken, sodass sich der Spalt zum Gebäude auf ein Minimum reduzierte. Dann öffnete sie eine Sicherungskette im Inneren des Gebäudes.
»Kommt herein.«
Es klang dunkel und befehlsgewohnt. Irgendwann einmal war Big Mama eine der mächtigsten Frauen der Stadt gewesen. Während des Bürgerkriegs war sie allerdings noch mit einer Bande Marodeure umhergezogen, wie man sich erzählte. Eine Verliererin unter Verlierern. Doch nachdem die Malachim dem Konflikt ein blutiges und rasches Ende bereitet hatten, hatte sie mit ein paar alten Freunden eine Art stadtweites Handelsimperium aufgebaut, das sie von ihrer Zentrale in einem riesigen Lagerhaus weit östlich in der Nähe von Eastham Court aus regierte. Während die eine Hälfte ihrer Männer damit beschäftigt war, die entvölkerte Stadt nach allem abzugrasen, was sich zu Geld machen ließ, war die andere mit der Verwertung der Ausbeute beschäftigt.
Man erzählte sich, dass die wenigen Bewohner der Stadt ganz gut in der Lage gewesen waren, sich mit dem über Wasser zu halten, was die Flüchtlinge in ihren Häusern zurückgelassen hatten, bis Big Mama aufgetaucht war und alles, was nicht niet- und nagelfest war, in ihren gut bewachten Kontoren hatte verschwinden lassen. Danach hieß es: Bezahl Big Mama oder verhungere! Das mochte übertrieben klingen, aber in Brents Augen war es eine schöne Metapher für die Rolle, die diese ausgemergelte Gestalt mit dem ergrauten Afro einmal in dieser Stadt gespielt hatte.
Big Mama war damals auch die Einzige gewesen, die über irgendwelche Handelsrouten noch regelmäßig Kontakte in die anderen Städte jenseits der Wälder unterhalten hatte. Doch eines Tages hatte ein gewisser Joe Mitchell, einer ihrer Distriktsfürsten, eine Revolte angezettelt. Dabei spielte es keine Rolle, dass die bessere Beteiligung, die er Mamas Anhängern geboten hatte, völlig unrealistisch gewesen war. Denn irgendwie hatte er die meisten von Big Mamas Gang dazu gebracht zu glauben, dass ihre bisherige Anführerin sie mächtig übervorteilte.
Innerhalb von nicht einmal vierundzwanzig Stunden hatte Big Mama das Kommando über ihr Imperium verloren, und Joe war zum neuen Anführer ernannt worden. Großzügig hatte er ihr angeboten, von nun an als seine »First Lady« zu fungieren, wie er es nannte, denn damals war Big Mama nicht nur eine mächtige, sondern auch eine sehr attraktive Frau gewesen. Stacy hatte in Big Mamas Sachen irgendwann mal Fotos gefunden, die ihre Stiefmutter in einem der Jahre unmittelbar vor dem Bürgerkrieg als Miss Black Georgia zeigten. Brent hatte fast seinen Kaffee verschüttet, als er die Fotos gesehen hatte.
Leider war von dieser Schönheit nicht mehr viel übrig. Ein Versuch, ihr Imperium mit ein paar letzten Getreuen zurückzuerobern, war kläglich gescheitert. Dabei war eine Blendgranate so nah an ihrem Gesicht explodiert, dass sie seither aussah wie einer jener Narbenmonsterbösewichte aus den alten Superheldencomics, die der selige kleine Georgie zu Lebzeiten dutzendweise unter seinem Bettchen gebunkert gehabt hatte. Eine chronische Hepatitis, die sie sich in der Zeit des Bürgerkriegs eingefangen hatte, hatte ihr dann den Rest ihrer früher legendären Energie genommen. Heute war sie kaum noch ein Schatten ihres alten Ich. Lediglich ihre stets fast übertrieben aufrechte Körperhaltung, die sie immer etwas größer wirken ließ, als sie in Wirklichkeit war, verriet die ehemalige Anführerin.
Und dann war da natürlich noch ihre Stimme. Dunkel und etwas heiser. Laut und dröhnend, wenn sie wütend war. Leise und schmeichelnd, wenn sie zu überzeugen versuchte. Brent musste merkwürdigerweise immer an altes Holz denken, wenn er sie hörte.
»Ihr seht ja furchtbar aus. Wo ist Cooper?«, fragte sie, während Stacy und Brent an ihr vorbei durch die Öffnung drängten. In der schlabberigen schwarzen Bluse und einer weiten Jeans von undefinierbarer Farbe wirkte sie noch fragiler und kränker als sonst. Sie war kaum vierzig, aber das eingefallene, zerfurchte Gesicht machte sie älter. »Brent?«
Zwei kohlschwarze Augen schienen ein Loch in sein Gesicht bohren zu wollen. Noch bevor er irgendetwas antworten konnte, brach Stacy in Tränen aus.
»Es ist alles meine Schuld«, jammerte sie.
Big Mama wollte sie in die Arme nehmen, doch dann fiel ihr Blick auf Stacys Hände, die sie vor ihrem Schoß
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