Elysion: Roman (German Edition)
des Pontifex gellte in Jimmys Ohren. Er brauchte nicht über seine Schulter zu schauen, um zu wissen, dass sich die beiden Malachim bereits in Bewegung gesetzt hatten. Vor ihm ragten die rettenden Holme der Leiter auf. Aber Sean war noch hinter ihm. Er drehte sich um, versuchte die beiden dunklen Silhouetten, die ihnen bereits gefährlich nah waren, zu ignorieren und griff nach Seans rudernden kleinen Ärmchen.
Irgendwie gelang es ihm, Seans linkes Handgelenk zu erwischen, bevor der erste Malach seinen Bruder am Kragen packen konnte. Dass es den Kleinen dabei von den Beinen riss, ließ sich nicht ändern. Dankbar registrierte er, dass Patrick und zwei weitere Gesichter an den Enden der anderen Leitern auftauchten. Er hatte keine Ahnung, was Patrick vorhatte, aber im Moment war jede Unterstützung willkommen.
Er schleifte den strampelnden Sean zu den Leiterholmen. Hinter ihm brüllte der Pontifex. Doch was immer er rief, es ging in dem höllischen Tumult unter, der unter ihnen tobte. Während sich direkt um den Felsen herum das Feld lichtete, prügelten und drängelten sich die Menschen an den Rändern des Tempels bei dem Versuch, durch die engen Lücken zwischen den Bäumen ins Freie zu schlüpfen.
Zu allem Überfluss kippte einer der brennenden Bäume krachend in den Tempel und sorgte für zusätzliche Panik.
Jimmy bugsierte Sean auf die Leiter und gab ihm zu verstehen, er möge sich beeilen, drehte sich um, schon in der Erwartung, einen der Malachim direkt vor sich zu sehen. Doch was er dann wirklich sah, verschlug ihm den Atem.
Ein halbes Dutzend Jugendliche hatten mittlerweile die Plattform geentert. Der Pontifex und seine beiden Schergen waren eingekreist. Während Patrick den Pontifex mit einer Art selbst gebastelter Machete in Schach hielt, bedrohten die anderen Kinder die beiden Malachim mit nichts als langen Holzstecken. Keine wirklich wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen Wesen, die vorübergehend ihre feste Form aufgeben konnten.
Aber aus irgendeinem Grund machten die Malachim keinen Versuch, sich aus der Umkreisung zu befreien. Stattdessen waren die Blicke ihrer lidlosen Augen einzig auf ihn gerichtet, verfolgten jede seiner Bewegungen, während er hinter Sean auf die Leiter stieg. Dann fiel sein eigener Blick auf die Füße der Malachim, die langsam, aber stetig in den Felsen sanken, und er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte.
Hastig kletterte er weiter nach unten, und das Geschehen auf der Plattform entschwand aus seinem Blickfeld.
»Zieht euch zurück, schnell!«, hörte er Patricks Stimme von oben. Seine weiteren Worte wurden vom Lärm der flüchtenden Menge verschluckt.
In Jimmys Rücken krachte es erneut. Noch ein Baum. Für einen Moment wurde ihm bewusst, dass all dies keine zufällige Katastrophe, sondern von Patrick und seinen Freunden offensichtlich einzig allein zu seiner und Seans Rettung inszeniert worden war. Der Gedanke machte ihn schwindlig. Wenn bloß nur niemand zu Schaden kam. Er sah Menschen am Boden liegen, von denen sich einige nicht mehr rührten. Waren sie nur ohnmächtig oder …?
Unter ihm hatte Sean endlich festen Boden unter den Füßen. Jimmy warf einen Blick über die Schulter, um die Lage einschätzen zu können – und sein Inneres gefror zu Eis.
» SEAN! «, schrie er.
Doch es war zu spät, sie waren bereits da. Während sich der eine Malach noch aus dem Felsen löste, als wäre er Teil eines skurrilen Reliefs, hatte der andere Sean bereits erreicht und zog dessen schmale, strampelnde Gestalt mit unwiderstehlicher Gewalt an sich.
In seiner Verzweiflung sprang Jimmy die restlichen zwei Meter in die Tiefe. Heißer Schmerz durchfuhr sein Fußgelenk. Er biss die Zähne zusammen.
Sprang auf.
Stolperte ein paar Schritte in Seans Richtung.
Seine Füße verfingen sich in einem am Boden liegenden Schal.
Noch im Fallen sah er die klebrig glänzende Hand über der Brust seines kleinen Bruders, hörte seinen eigenen Schrei, als die Fingerkuppen in Seans Oberkörper eintauchten, als wäre der Junge nur ein substanzloser Nebel. Er fiel zu Boden und überschlug sich, vorangetragen vom eigenen Schwung. Er prustete, spuckte Erde aus, bevor er endlich den Kopf wieder heben konnte – und sah seinen Bruder schlaff und blicklos in den Armen des Malach.
Ihm war, als wäre mit einem Mal alle Kraft aus seinem Körper gesogen. Taubheit legte sich über alles. Er war noch da und doch nicht mehr. Wie in Trance sah er, dass der Malach den Körper seines Bruders zu Boden fallen
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