Elysion: Roman (German Edition)
ziehen.
»Maureen Larson!«, rief er. »Tritt vor und bring deine Söhne mit!«
Er sah, wie die Frau kurz zusammenzuckte, als er ihren Namen rief, wie sich die Blicke der Umstehenden auf sie und ihre Söhne richteten. Sie sahen klein und unbedeutend aus, dort unten in der Menge. Ameisen, die von Ameisen beäugt wurden. Nun, an diesem Tag würde er ihnen wenigstens etwas Bedeutung verschaffen.
Maureen ergriff die Hand des kleineren der beiden Jungen, den der größere abgesetzt hatte, und setzte sich in Bewegung. Die Menge teilte sich, und die Frau und ihre Söhne traten vor den Findling.
»Die beiden sollen hier zu mir heraufkommen.«
Maureen Larson zögerte. Er konnte es ihr kaum verdenken. Schließlich aber nickte die Frau ihren Söhnen zu, und die beiden setzten sich in Bewegung, umkreisten den Findling und stiegen zu ihm und den beiden Malachim auf die große Plattform.
Wieder ließ der Pontifex die Situation einen kleinen Moment auf die Menge wirken. Die beiden Jungen standen etwa drei Meter von ihm entfernt, am äußersten Ende der Plattform, offensichtlich um so viel Raum wie möglich zwischen sich und die hautlosen Leiber der Malachim bemüht, die an des Pontifex anderer Seite wachten. Der ältere Junge hatte die Hände auf die leicht zitternden Schultern seines kleinen Bruders gelegt. Ein Teil des Pontifex, der mitfühlende Vater in ihm, wollte zu den beiden hingehen und sie in die Arme schließen, ihnen sagen, dass alles gut wäre. Er spürte, wie bei dieser Vorstellung die Tränen in ihm aufstiegen. Für einen kurzen Moment erschien das Gesicht eines kleinen Mädchens vor seinem geistigen Auge. Er schüttelte das Bild ab.
Strenge und Furcht, du sentimentaler alter Esel, ermahnte er sich selbst in Gedanken.
Er biss sich so fest auf die Lippen, dass er den metallischen Geschmack seines eigenen Blutes schmeckte. Der Schmerz tötete seine Gefühle ab, so wie er es immer tat, seit er Lara damals im Schnee hatte liegen sehen, kurz bevor sie ihn selbst in den Rücken geschossen, für tot gehalten und zurückgelassen hatten. Schlimmer als die Schmerzen war die Wut gewesen, die er in seiner Ohnmacht empfunden hatte. Bei vollem Bewusstsein zu sein und nichts dagegen tun zu können, dass die eigene Familie ausgelöscht wird … Er konzentrierte sich ganz auf die Erinnerung, auf diesen ohnmächtigen Zorn. Es half.
Er räusperte sich, dann richtete er erneut das Wort an die wartende Masse: »Gemeinde, wir haben uns heute hier versammelt, um Recht über diese zwei Jungen zu sprechen.« Er wies auf die beiden Brüder, und die Blicke aller folgten gebannt seiner Bewegung, als wäre die Masse dort unten ein einziges Wesen, das sich ganz und gar in seinem Bann befand.
Gut so. Jetzt musste er den Leuten das Gefühl der Teilhabe verschaffen. Was immer gleich passieren würde, sie mussten das Gefühl haben, dass er nur der Vollstrecker ihres Willens war.
Sein Blick suchte die Menge nach bekannten Gesichtern ab. Schnell fand er eins. Kevin Dowry, ein Schuster, der unter einem leichten Buckel litt. Tyra, seine Frau, hatte keine Kinder bekommen, bis er ihr die Hand aufgelegt hatte. Zu seiner nicht geringen Überraschung hatte sie bald danach einen gesunden Jungen zur Welt gebracht. Sicherlich nichts als Zufall, aber ausnahmsweise mal ein glücklicher.
Er zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht und wies auf den Mann. »Kevin. Du weißt alles, was in dieser Gemeinde vor sich geht.« Er sah, wie der Schuster bei dieser Feststellung trotz Buckel einige Zentimeter wuchs. Gott, wie sehr er sich für diese Inszenierung und die Ameisen dort unten für ihre Manipulierbarkeit hasste. Aber es musste sein. »Erzähl uns, warum die beiden hier oben stehen.«
Kevin schniefte und sah sich kurz und verstohlen um, als müsse er sich bei den Umstehenden die Erlaubnis für seinen Bericht holen. Der Pontifex nickte ihm aufmunternd zu.
Kevin wischte sich die schmierigen Hände an seiner groben Leinentunika ab und räusperte sich vernehmlich. »Äh … die haben Ree… ich meine, sie haben Sachen auf den Tempel geschmiert.« Er wies vage auf die mächtigen Buchen weit im Hintergrund.
»Und was haben sie dort hingeschmiert, Kevin?«
Der Mann kratzte sich nervös am Kopf. Offensichtlich wusste er nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Der Pontifex ließ ihn ein Weilchen zappeln. Es war gut, wenn die anderen seine Skrupel sahen und mitempfinden konnten. Er wartete, bis die Spannung nahezu unerträglich wurde. Dann erlöste er den
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