E.M. Remarque
den Romanen Im Westen nichts Neues
und Der Weg zurück verdrängen Remarques Helden den Krieg oder schaffen sich
Bilder von ihm, die ein Leben mit der Kriegserinnerung scheinbar erst möglich
machen. Im Fall von Annette Stoll in Die Geschichte von Annettes Liebe ist es
die Vorstellung von einem heroischen Krieg mit »kühnen Angriffen«, die es ihr
verwehrt, die wahren Bedürfnisse ihres Verlobten und Ehemannes nach
Geborgenheit und nach einer Möglichkeit der Ruhe vom Krieg zu erkennen. Erst
die Erinnerung an den fast vergessenen Jugendfreund führt sie, die kurz vor
ihrer erneuten Heirat »jetzt wirklich hätte glücklich sein sollen«, zu der
Erkenntnis ihres Fehlverhaltens:
Zum ersten Mal hörte
Annette jetzt, was der Krieg eigentlich gewesen war; zum ersten Mal erkannte
sie, wovon Gerhard in der Nacht vor seiner Abfahrt gesprochen hatte; zum ersten
Mal begriff sie, was er sich von ihr ersehnt hatte – einen Ruheplatz, einen
Hafen, ein kleines Feuer der Liebe inmitten von so viel Haß; einen Funken
Menschlichkeit inmitten der Vernichtung; Wärme, Vertrauen, einen Grund, auf dem
er stehen konnte; die Erde, eine Heimat, eine Brücke, über die er zurückkommen
konnte. (S. 49)
Diese »Brücke, über die
man zurückkommen konnte«, durch die die Kriegsteilnehmer ihren Weg zurück in
die Gesellschaft hätten finden und ihre Vereinsamung und Orientierungslosigkeit
in der Nachkriegsgesellschaft beenden können, ist das Thema aller Werke
Remarques über den Ersten Weltkrieg. In Im Westen nichts Neues ist es die
Darstellung der Ursachen für die »verlorene Generation«, die vom Kriege
zerstört wurde, die Schilderung der Widersprüche zwischen den Idealen und der
Wirklichkeit des Krieges. In Der Weg zurück wie in den Erzählungen dieses
Bandes zeichnet Remarque ein Panorama des Scheiterns an der Nachkriegsgesellschaft,
aber er schildert auch die Möglichkeit des Sich-Erinnerns an die Realität des
Krieges, die stets bei Remarque zu einem »Nie wieder« führt.
Einzig
für Johann Bartok, dessen Erinnerungen so verblaßt sind wie das Porträt seiner
Frau, auf dem »nichts Erkennbares« geblieben ist, bleibt nach 15 Jahren
Straflager nichts als Optimismus:
Draußen vor dem Haus blieb
er eine Weile stehen. Dann ging er wieder zum Bahnhof und fuhr in seine
Heimatstadt zurück. Dort wollte er Arbeit suchen und wieder von vorne anfangen.
(S. 71)
Auch
wenn
die literarische Qualität dieser Erzählungen zum Teil sehr unterschiedlich ist
und Remarque wie in Im Westen nichts Neues nicht aus eigener Anschauung
berichtet, sondern Standardsituationen beschreibt, liegt die Bedeutung dieser
bis heute vergessenen Texte in dem erneuten Zeugnis, das sie von Remarques
konsequenter pazifistischer Haltung geben:
Ich
dachte
immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand,daß es welche
gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hineingehen müssen ... 25
Die
Aktualität
dieser Aussage braucht nicht belegt zu werden.
Thomas Schneider
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