E.M. Remarque
bedeutende
Ergänzung zur bekannten und vieldiskutierten Schilderung des Ersten Weltkrieges
und seiner Folgen durch Remarque in Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück
darstellen.
III.
Zwischen den
Publikationsdaten der ersten drei und letzten drei Erzählungen liegt über ein
Jahr. Doch nicht nur diese zeitliche Lücke trennt die Erzählungen, auch
inhaltlich unterscheiden sich die Erzählungen wesentlich. Steht in den ersten
drei Erzählungen die unmittelbare Konfrontation mit dem Kriegserlebnis und vor
allem den ehemaligen Schlachtfeldern im Vordergrund, so schildert Remarque in
den folgenden drei Texten exemplarische Kriegsschicksale, die weniger den
Frontsoldaten selbst zum Mittelpunkt haben als die Auswirkungen des Krieges auf
das Leben und das Sich zurechtfinden der Kriegsteilnehmer in der
Nachkriegsgesellschaft.
Im
Oktober 1929, kurz nach dem Vertragsabschluß mit der United Press über Der Weg
zurück und die geplanten Kurzgeschichten, unternahm Remarque zusammen mit
seinem Schulfreund und Kriegskameraden Georg Middendorf, dem er bereits 1917
aus dem Duisburger Lazarett einen»Roman« über den Krieg angekündigt hatte 20 , eine Reise nach Frankreich, die ihn nach Paris und vermutlich auch auf die
ehemaligenSchlachtfelder Nordfrankreichs führte 21 . Im Nachlaß Remarques sind zweiAnsichtskarten der Örtlichkeiten vor Verdun erhalten 22 . Sie zeigen den
»Graben der Bajonette« und die »Totenschlucht«. Remarque selbst war während
seines knapp einmonatigen Frontaufenthaltes 1917 in Houthoulst/ Flandern
stationiert und kannte Verdun nicht.
Der
Besuch der ehemaligen Schlachtfelder spielt in den Erzählungen wie auch in Der
Weg zurück eine wichtige Rolle als Vergegenwärtigung des Kriegserlebnisses. Die
ehemaligenKriegsteilnehmer Karl Broeger in der Erzählung Karl Broeger in
Fleury oder Georg Rahe in Der Weg zurück 23 werden dort mit ihrer Erinnerung
konfrontiert. Liest sich Schweigen um Verdun noch wie eine sachliche Reportage
über die ehemaligen Schlachtfelder im Stile von Erinnerungsbänden wieDas unsichtbare
Denkmal 24 , so schildert Remarque in den folgenden beiden Erzählungen
eindrucksvoll die Konsequenzen, die mit dieser Konfrontation verbunden sind.
Karl Broegers Haltung verändert sich während des Besuchs von Verdun vom
wissenden Touristen und Pläne schmiedenden Aufsteiger der Gesellschaft der
Weimarer Republik durch das Wieder-Erleben der Front und angesichts der
Kriegerdenkmäler zum verunsicherten Mahner:
Karl schüttelt den
Kopf: »Das erzählt nicht die ganze Geschichte, nein, überhaupt nicht. Aber sie
haben schon recht, daß sie Denkmäler aufrichten, denn mehr als dort und in der
ganzen Umgebung ist nirgends gelitten worden. Nur eines haben sie ausgelassen:
Nie wieder. Das fehlt. (S. 29)
Deutlicher noch wird
Remarques Anliegen in Josefs Frau: Auch hier dient die Konfrontation mit den
ehemaligen Schlachtfeldern zur Überwindung des Kriegs-Traumas, das wie in einer
Parabel dem Leser konkret vor Augen geführt wird. Josef Thiedemann »war noch
bei Bewußtsein, als sie ihn herausholten, und dem äußeren Anschein nach
äußerlich praktisch unverletzt« (S. 31), doch dämmert der einfache Bauer wie
vom Kriegserlebnis paralysiert durch die Nachkriegszeit. Erst der Besuch der
ehemaligen Schlachtfelder und besonders der unmittelbare Anstoß, sich an das
Kriegserlebnis zu erinnern, wecken Thiedemann auf und versetzen ihn in die
Lage, als »normales« Mitglied der Gesellschaft zu arbeiten, das seine
Vergangenheit akzeptiert und damit verarbeitet hat.
Nicht
nur in diesen Erzählungen, sondern auch in
Weitere Kostenlose Bücher