E.M. Remarque
wird, nach dem Kriegserlebnis, welches ihm
am »lebhaftesten in Erinnerung« sei (S. 7). Breyer erzählt entgegen der
Erwartung des Fragenden nicht von verlustreichen Schlachten und »Heldentaten«
an der Front, sondern die Geschichte von der Menschwerdung des Gegners, die von
Breyer aus der Erinnerung verdrängt wurde:
Viele Dinge sind mir
seither passiert. Ich sah viele Männer sterben; ich selbst habe mehr als einen
getötet; ich wurde hart und fühllos. Die Jahre gingen vorüber. Aber die ganze
lange Zeit habe ich es nicht gewagt, an diesen dünnen Schrei im Regen zu
denken. (S. 15)
Remarques in diesem Band
gesammelte sechs Kriegserzählungen, die in den Jahren 1930 und 1931 in dem
US-amerikanischen Magazin Collier’s Weekly veröffentlicht wurden, schildern den
Ersten Weltkrieg aus der Nachkriegsperspektive. Nicht die eigentlichen
Kampfhandlungen und Kriegsgeschehnisse stehen im Vordergrund der Erzählungen,
sondern die Kriegsfolgen, die Schäden und Verwüstungen, die der Krieg der
Landschaft (in Schweigen um Verdun) und vor allem den Menschen sowohl an der
Front als auch in der Heimat zugefügt hat. Remarque setzte mit den Erzählungen
die Intention von Im Westen nichts Neues fort, das der Autor selbst»eher als
ein Nachkriegsbuch« 3 ansah denn als ein Kriegsbuch:
Der
Erfolg
von Im Westen nichts Neues war auch nach meiner Ansicht vielmehr der eines
Nachkriegsbuches, eines Buches in dem diese Frage eben gestellt wurde: »Was ist
aus diesen Menschen geworden?« Es wurde auch zum ersten Male gefragt: »Haben
nicht Menschen einen Schaden davongetragen oder irgend etwas davongetragen, daß
sie im Krieg gewesen sind und alle ihre sogenannten sittlichen Grundsätze
umschmeißen mußten?« Man hat ihnen gesagt:»Du darfst nicht töten.« Aber man
hat ihnen auch gesagt: »Du mußt gut zielen, damit du triffst.« 4
Remarque schrieb Im Westen
nichts Neues undDer Weg zurück wie auch diese Erzählungen Ende der 20er Jahre
im Sinne einer Gegen-Erinnerung 5 zur marktbeherrschenden, kriegsbejahenden
Schilderung des Krieges aus der Perspektive der Offiziere und Nationalisten;
einer Gegen-Erinnerung aus der Perspektive der»Generation, die durch den Krieg
zerstört wurde, auch wenn sie seinen Granaten entkam« 6 . Remarque wollte kein
»Kriegsbuch« schreiben, als welches Im Westen nichts Neues heute noch gilt,
sondern sich auf den »rein menschlichen Aspekt der Kriegserfahrung«
beschränken.
Die äußere Erfahrung (des Ersten Weltkrieges) war vielleicht in jedem Fall kaum gleich (
…), aber der entscheidende Faktor war zweifellos, daß das Buch einen Teil der
inneren Erfahrung darstellte –das Leben, das mit dem Tod konfrontiert wird und
ihn bekämpft. 7
Die
in diesem Band nach sechzig Jahren erstmals wieder publizierten Erzählungen
knüpfen nahtlos an diese Zielsetzung an.
II.
Bis
zur Veröffentlichung
von Im Westen nichts Neues 1928 war Remarque vor allem ein Autor von Kurzprosa
und Lyrik, die er in Zeitschriften und Zeitungen publizierte. Für den Zeitraum
von 1916 bis Ende 1928 sind bislang rund 250 Veröffentlichungen bekannt,
darunter vor allem humoristische Lyrik, Reiseerzählungen, Reportagen und
Essays, die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Redakteur von Echo
Continental (1922-1924) und Sport im Bild (1925-1928) entstanden. Remarque
versuchte darüber hinaus, sein Einkommen durch die Veröffentlichung von kurzen
Erzählungen aufzubessern;allein im Zeitraum April 1924 bis Mai 1925 versandte er
über 100 Texte an zahlreiche Zeitschriften in der gesamten Weimarer Republik. 8 Die Kurzgeschichten hatten zumeist exotische Schauplätze oder Automobilrennen
zum Gegenstand;sie
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