E.M. Remarque
mehr … Das Letzte, was sie sah, war das dunkle Kreuz des
Fensterrahmens, hinter dem die untergehende Sonne stand.
Das seltsame Schicksal des Johann Bartok
Johann Bartok, ein
Klempner und Installateur, war fünf Monate verheiratet, als der Krieg ausbrach.
Er wurde sofort eingezogen und in eine österreichische Garnison an die Grenze
geschickt. An dem Tag, als er abfuhr, war er damit beschäftigt, seine
Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und sein kleines Geschäft seiner Frau und
seinem Gesellen zu übergeben. Es gelang ihm sogar noch, zwei weitere Aufträge
zu bekommen. Dies nahm ihn tatsächlich bis nachmittags in Anspruch; aber
andererseits hatte er die Genugtuung, nun zu wissen, daß jetzt wenigstens bis
Weihnachten alles geregelt sein würde. Als es Abend wurde, zog er seinen besten
Anzug an und ging mit seiner Frau zum Fotografen. Bislang hatten sie sich nicht
dazu aufgerafft, sich fotografieren zu lassen – sie hatten hart arbeiten
müssen, um durchzukommen, so daß ihnen dergleichen als eine törichte Ausgabe
erscheinen mußte. Aber jetzt war das etwas anderes. Der Fotograf brachte die
Fotos am nächsten Morgen zum Zug. Obwohl sie etwas größer ausfielen, als Bartok
erwartet hatte, versuchte er, einen Ausschnitt mit ihren beiden Gesichtern zu
machen, der in seinen Uhrendeckel passen würde, aber es gelang ihm nicht; also
nahm er sein Messer, schnitt sein eigenes Bild ab und behielt nur das von
seiner Frau. Jetzt paßte es.
Bartoks Regiment wurde
bald an die Front verlegt. Es rückte im Winter 1914 vor und wurde in ein
heftiges Nachtgefecht verwickelt, bei dem der Feind eine Flankenbewegung machte
und drei Kompanien abschnitt. Die verteidigten sich einen ganzen Tag; als sie
dann keine Munition mehr hatten, mußten sie sich ergeben. Und zu ihnen gehörte
Bartok. Die Gefangenen verbrachten einige Monate in einem Sammellager. Bartok
saß den ganzen Tag in der Hütte herum und brütete. Er hätte gern gewußt, wie es
seiner Frau ging und ob sie neue Aufträge für den Betrieb hatte sichern können,
denn der mußte ja jetzt ihren Lebensunterhalt einbringen. Aber es gab keinen
einzigen Brief für das ganze Lager, und das einzige, was Bartok tun konnte, war
zu versuchen, Briefe nach Hause zu schicken mit Ratschlägen und Adressen von
Leuten, die vielleicht ein neues Eisengitter brauchten oder ein Wasserklo
beispielsweise. Gegen Anfang April wurde ein Trupp von 1800 Mann
zusammengestellt und an die Küste verlegt. Bartok und seine Kameraden waren
unter ihnen. Sie wurden an Bord eines Dampfers genommen, und das Gerücht ging
um, daß sie in ein Lager in Ostasien verschifft werden sollten.
In
den ersten paar Tagen waren fast alle seekrank. Danach saßen sie herum, hockten
in der stickigen Atmosphäre des dunklen Laderaums zusammen und rauchten,
solange sie noch Zigaretten hatten. Nur durch ein paar schmale Bullaugen
konnten sie einen flüchtigen Blick auf das Meer erhaschen, also schauten sie
reihum hinaus. Das Wasser war blau und klar, und manchmal konnte man weiße
Flügel oder den Schatten eines großen Fisches sehen.
Allmählich wurden die Wachen
nachlässig. Die Gefangenen beobachteten das und schmiedeten den Plan, die
Besatzung zu überraschen und die Gewalt über das Schiff an sich zu reißen.
Einige von ihnen spionierten die Räume aus, wo die Waffen aufbewahrt wurden,
und andere rüsteten sich heimlich mit Maripfriemen, Tauen und Messern aus.
Dann
brachen sie in einer stürmischen Nacht los. Drei riesenhafte Unteroffiziere
führten den Trupp an, zu dem Bartok gehörte. Scheinbar harmlos schlenderten sie
auf die Kajütstreppe zu und warfen sich dann plötzlich wie Katzen auf die
erstaunten Wachen, die
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