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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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spie­gel­te wie frü­her die Wol­ken, und die
Flak­wölk­chen säum­ten den Him­mel, als sei er ein harm­lo­ses Kis­sen, des­sen Näh­te
über­all bars­ten und grau­wei­ße Baum­woll­flo­cken aus­stie­ßen.
    Ei­ne Bom­be fiel weit au­ßer­halb der Stadt in die Wie­sen, die sich zum La­ger
hin­auf­zo­gen.
    509 spür­te im­mer noch kei­ne Furcht; al­les das war viel zu weit weg von der
en­gen Welt, die al­lein er noch kann­te. Furcht konn­te man ha­ben vor bren­nen­den
Zi­ga­ret­ten an Au­gen und Ho­den, vor Wo­chen im Hun­ger­bun­ker, ei­nem Stein­sarg, in
dem man we­der ste­hen noch lie­gen konn­te, vor dem Bock, auf dem ei­nem die Nie­ren
zer­schla­gen wur­den; vor der Fol­ter­kam­mer im lin­ken Flü­gel ne­ben dem Tor – vor
dem Stein­bren­ner, vor Breu­er, vor dem La­ger­füh­rer We­ber –, aber selbst das war
schon et­was ver­blaßt, seit er ins Klei­ne La­ger ab­ge­scho­ben wor­den war. Man
muß­te rasch ver­ges­sen kön­nen, um die Kraft zum Wei­ter­le­ben auf­zu­brin­gen.
Au­ßer­dem war das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Mel­lern nach zehn Jah­ren der Tor­tu­ren
et­was mü­der ge­wor­den – selbst ei­nem fri­schen, idea­lis­ti­schen SS-Mann wur­de es
mit der Zeit lang­wei­lig, Ske­let­te zu quä­len.
    Sie hiel­ten we­nig aus und rea­gier­ten nicht ge­nü­gend. Nur wenn kräf­ti­ge,
lei­dens­fä­hi­ge Zu­gän­ge ka­men, flamm­te der al­te pa­trio­ti­sche Ei­fer manch­mal noch
auf. Dann hör­te man in den Näch­ten wie­der das ver­trau­te Heu­len, und die
SS-Mann­schaf­ten sa­hen ein biß­chen an­ge­reg­ter aus, wie nach ei­nem gu­ten
Schwei­ne­bra­ten mit Kar­tof­feln und Rot­kohl. Sonst aber wa­ren die La­ger in
Deutsch­land wäh­rend der Kriegs­jah­re eher hu­man ge­wor­den. Man ver­gas­te, er­schlug
und er­schoß fast nur noch oder ar­bei­te­te die Leu­te ein­fach ka­putt und ließ sie
dann ver­hun­gern. Daß ab und zu im Kre­ma­to­ri­um ein Le­ben­der mit­ver­brannt wur­de,
lag eher an Über­ar­bei­tung und der Tat­sa­che, daß man­che Ske­let­te sich lan­ge
nicht be­weg­ten, als an bö­ser Ab­sicht. Es kam auch nur vor, wenn rasch Raum für
neue Trans­por­te ge­schaf­fen wer­den muß­te durch Mas­sen­li­qui­die­run­gen. So­gar das
Ver­hun­gern­las­sen der Ar­beits­un­fä­hi­gen wur­de in Mel­lern nicht zu roh be­trie­ben;
es gab im Klei­nen La­ger im­mer noch et­was zu es­sen, und Ve­te­ra­nen wie 509 hat­ten
es fer­tig­ge­bracht, Re­kor­de da­mit zu schla­gen und am Le­ben zu blei­ben.
    Das Bom­bar­de­ment hör­te plötz­lich auf. Nur noch die Flak tob­te. 509 hob den
Man­tel et­was hö­her, so daß er den nächs­ten Ma­schi­nen­ge­wehr­turm se­hen konn­te.
Der Stand war leer. Er blick­te wei­ter nach rechts und dann nach links. Auch
dort wa­ren die Tür­me oh­ne Wa­chen. Die SS-Mann­schaf­ten wa­ren über­all
her­un­ter­ge­klet­tert und hat­ten sich in Si­cher­heit ge­bracht; sie hat­ten gu­te
Luft­schutz­bun­ker na­he den Ka­ser­nen.
    509 warf den Man­tel ganz zu­rück und kroch nä­her an den Sta­chel­draht her­an. Er
stütz­te sich auf die Ell­bo­gen und starr­te ins Tal hin­un­ter.
    Die Stadt brann­te jetzt über­all. Das, was vor­her spie­le­risch aus­ge­se­hen hat­te,
hat­te sich in­zwi­schen in das ver­wan­delt, was es wirk­lich war: Feu­er und
Zer­stö­rung. Der Rauch hock­te wie ei­ne rie­si­ge Mol­lus­ke der Ver­nich­tung gelb und
schwarz in den Stra­ßen und fraß die Häu­ser. Flam­men zuck­ten hin­durch. Vom
Bahn­hof schoß ei­ne mäch­ti­ge Fun­kengar­be hoch. Der zer­bro­che­ne Turm der
Ka­tha­ri­nen­kir­che be­gann zu fla­ckern, und Feu­er­zun­gen leck­ten wie fah­le Blit­ze
dar­an em­por.
    Un­be­küm­mert, als sei nichts ge­sche­hen, stand die Son­ne in gol­de­ner Glo­rie
da­hin­ter, und es wirk­te fast ge­spens­tisch, daß der Him­mel mit sei­nem Blau und
Weiß ge­nau­so hei­ter war wie vor­her und daß die Wäl­der und Hö­hen­zü­ge rund­um
ru­hig und un­be­tei­ligt wei­ter im sanf­ten Licht la­gen – als sei nur die Stadt
al­lein ver­dammt wor­den durch einen un­be­kann­ten, fins­te­ren Richt­spruch.
    509 starr­te hin­un­ter. Er ver­gaß al­le Vor­sicht und starr­te hin­un­ter. Er

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