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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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nann­te sich mit ei­nem Rest von Gal­gen­hu­mor die
Ve­te­ra­nen. 509 ge­hör­te da­zu. Er war vor vier Mo­na­ten ins Klei­ne La­ger ge­bracht
wor­den, und es schi­en ihm selbst ein Wun­der, daß er im­mer noch leb­te.
    Der Rauch vom Kre­ma­to­ri­um trieb schwarz her­über. Der Wind drück­te ihn auf das
La­ger, und die Schwa­den stri­chen nied­rig über die Ba­ra­cken. Sie ro­chen fett und
süß­lich und reiz­ten zum Er­bre­chen. 509 hat­te sich nie an sie ge­wöh­nen kön­nen;
selbst nicht nach zehn Jah­ren im La­ger. Die Res­te von zwei Ve­te­ra­nen wa­ren
heu­te dar­un­ter; die des Uhr­ma­chers Jan Si­bel­ski und des Uni­ver­si­täts­pro­fes­sors
Jo­el Buchs­baum.
    Bei­de wa­ren in Ba­ra­cke 22 ge­stor­ben und mit­tags im Kre­ma­to­ri­um ab­ge­lie­fert
wor­den, Buchs­baum al­ler­dings nicht ganz voll­stän­dig; drei Fin­ger, sieb­zehn
Zäh­ne, die Ze­hen­nä­gel und ein Teil des Ge­schlechts­glie­des hat­ten ge­fehlt. Sie
wa­ren ihm wäh­rend sei­ner Er­zie­hung zu ei­nem brauch­ba­ren Men­schen
ver­lo­ren­ge­gan­gen. Die Sa­che mit dem Ge­schlechts­glied war an den Kul­tu­ra­ben­den
in der SS-Ka­ser­ne sehr be­lacht wor­den. Sie war ei­ne Idee des Schar­füh­rers
Gün­ther Stein­bren­ner ge­we­sen, der erst kürz­lich ins La­ger ge­kom­men war.
Ein­fach, wie al­le großen Ein­fäl­le – ei­ne Ein­sprit­zung mit hoch­pro­zen­ti­ger
Salz­säu­re, wei­ter nichts. Stein­bren­ner hat­te sich da­mit so­fort Ach­tung un­ter
den Ka­me­ra­den ver­schafft.
    Der März­nach­mit­tag war mil­de, und die Son­ne hat­te schon et­was Wär­me; trotz­dem
fror 509, ob­schon er au­ßer sei­nen ei­ge­nen Klei­dern noch Sa­chen von drei an­de­ren
Per­so­nen trug – die Ja­cke Jo­sef Bu­chers, den Man­tel des Alt­händ­lers Le­ben­thal
und den zer­ris­se­nen Swea­ter Jo­el Buchs­baums, den die Ba­ra­cke ge­ret­tet hat­te,
be­vor die Lei­che ab­ge­lie­fert wor­den war. Aber wenn man ein Me­ter achtund­sieb­zig
groß war und un­ter sieb­zig Pfund wog, hät­ten wahr­schein­lich selbst Pel­ze nicht
mehr viel ge­wärmt.
    509 hat­te das Recht, ei­ne hal­be Stun­de in der Son­ne zu lie­gen.
    Dann muß­te er zur Ba­ra­cke zu­rück, die ge­borg­ten Klei­der ab­ge­ben, sei­ne Ja­cke
da­zu, und ein an­de­rer kam dran. Das war so ab­ge­macht wor­den zwi­schen den
Ve­te­ra­nen, seit die Käl­te vor­bei war. Man­che hat­ten es nicht mehr ge­wollt. Sie
wa­ren zu er­schöpft ge­we­sen und hat­ten nach den Lei­den des Win­ters nur noch in
Ru­he in den Ba­ra­cken ster­ben wol­len; aber Ber­ger, der Stu­be­näl­tes­te, hat­te
dar­auf be­stan­den, daß al­le, die noch krie­chen konn­ten, jetzt ei­ne Zeit­lang an
die fri­sche Luft ka­men.
    Der nächs­te war West­hof; dann kam Bu­cher. Le­ben­thal hat­te ver­zich­tet; er hat­te
Bes­se­res zu tun. 509 wand­te sich wie­der zu­rück. Das La­ger war auf ei­ner An­hö­he
er­rich­tet, und durch den Sta­chel­draht konn­te er jetzt die Stadt se­hen. Sie lag
im Tal, weit un­ter­halb des La­gers, und über dem Ge­wirr der Dä­cher ho­ben sich
die Tür­me der Kir­chen. Es war ei­ne al­te Stadt mit vie­len Kir­chen und Wäl­len,
mit Lin­den­al­leen und wink­li­gen Gas­sen. Im Nor­den lag der neue Teil mit
brei­te­ren Stra­ßen, dem Haupt­bahn­hof, Miets­ka­ser­nen, Fa­bri­ken und den Kup­fer-
und Ei­sen­wer­ken, in de­nen Kom­man­dos vom La­ger ar­bei­te­ten. Ein Fluß zog sich im
Bo­gen hin­durch, und in ihm spie­gel­ten sich die Brücken und die Wol­ken.
    509 ließ den Kopf sin­ken. Er konn­te ihn im­mer nur ei­ne Wei­le hoch­hal­ten. Ein
Schä­del war schwer, wenn die Hals­mus­keln zu Fä­den zu­sam­men­ge­schrumpft wa­ren –
und der An­blick der rau­chen­den Schorn­stei­ne im Tal mach­te nur noch hung­ri­ger
als sonst. Er mach­te hung­rig im Ge­hirn – nicht nur im Ma­gen. Der Ma­gen war seit
Jah­ren dar­an ge­wöhnt und kei­ner an­de­ren Emp­fin­dung mehr fä­hig als ei­ner
gleich­blei­ben­den, stump­fen Gier. Hun­ger im Ge­hirn war schlim­mer. Er weck­te
Hal­lu­zi­na­tio­nen und wur­de nie mü­de. Er fraß sich selbst in den Schlaf. Es hat­te
509 im Win­ter drei Mo­na­te ge­kos­tet, um die Vor­stel­lung von

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