E.M. Remarque
getötet.«
»Die Phantasie kann nicht sehr weit zählen.
Eigentlich nur bis eins. Bis zum Nächsten neben einem.«
Die Ladenklingel schnurrte. Eine Frau in
einem roten Kleid wollte einen silbernen persischen Becher kaufen. Ob man ihn
wohl als Aschenbecher verwenden könne? Ich benutzte die Gelegenheit, um im
Keller, der sich weit unter der Straße hinzog, zu verschwinden. Ich haßte diese
Art von Gesprächen. Sie kamen mir naiv und zwecklos vor. Es waren Gespräche für
Leute, die nicht dabei waren und die glaubten, schon etwas getan zu haben, wenn
sie sich aufregten. Es waren Gespräche für Leute, die nicht in Gefahr waren.
Wie kühl dagegen war der Keller, wie ein Luftschutzkeller mit Komfort. Der
Luftschutzkeller eines Sammlers. Gedämpft wie Flugzeuglärm dröhnte von oben das
Rauschen der Automobile und das Stampfen der Lastkraftwagen. Aber an den Wänden
hing der stille Vorwurf der Vergangenheit.
***
Spät abends kam ich ins
Hotel zurück. Lowy senior hatte mir in der Aufwallung seines einfachen Herzens
fünfzig Dollar Vorschuß gegeben. Kurz darauf hatte er es allerdings bereut, das
hatte ich gemerkt. Aber wegen der Ernsthaftigkeit unseres vorhergehenden
Gespräches hatte er sich doch nicht getraut, es rückgängig zu machen. So hatte
ich einen unerwarteten Vorteil davon.
Ich fand Melikow nicht im Hotel, statt
dessen kam Lachmann. Er war aufgeregt wie immer und schwitzte.
»Hat alles geklappt?« fragte ich ihn.
»Was?«
»Das Lourdeswasser.«
»Lourdeswasser? Du meinst das Jordanwasser!
Was heißt geklappt? So etwas ist nicht so einfach. Aber ich komme vorwärts.
Trotzdem: die Frau macht mich wahnsinnig! Ich segle andauernd zwischen Scylla
und Charybdis. So etwas ermüdet.«
»Scylla und Charybdis?«
»Du kennst das doch. Aus den griechischen
Heldensagen. Diese Felsenklemme für den Schiffer. Ich muß lavieren, lavieren,
sonst bin ich verloren.« Er sah mich aus gehetzten Augen an. »Wenn ich die Frau
nicht bald bekomme, werde ich impotent. Du weißt ja, daß ich einen schweren
Komplex habe. Die Träume sind schon wieder da. Ich wache auf, schweißbedeckt
und schreiend. Du weißt doch, daß die Bande mich kastrieren wollte. Mit einer
Schere, nicht mit einem Messer. Und das Gelächter dabei! Wenn ich nicht bald
mit der Frau schlafe, träume ich, daß sie es geschafft haben. Es sind
fürchterliche Träume. Als wären sie wahr! Ich höre das Gelächter noch, nachdem
ich aus dem Bett gesprungen bin.«
»Schlaf doch mit einer Hure.«
»Das kann ich nicht. Insoweit bin ich schon
impotent. Auch mit keiner normalen Frau. Das haben sie schon erreicht.«
Lachmann horchte. »Da kommt sie! Wir gehen
zum Blue Ribbon, sie ißt gerne Sauerbraten. Komm mit! Vielleicht kannst du sie
beeinflussen. Du kannst doch gut reden.«
Ich hörte die sehr wohlklingende Stimme von
der Treppe her. »Ich habe keine Zeit«, sagte ich. »Aber vielleicht hat auch die
Frau einen Komplex wegen ihres fehlenden Fußes, so wie du wegen deiner Narben.«
»Meinst du?« Lachmann stand bereits.
»Meinst du wirklich?«
Ich hatte nur so dahingeredet, um ihn zu
trösten. Als ich sah, wie erregt er wurde, verfluchte ich meine lose Zunge, ich
wußte ja von Melikow, daß die Frau mit dem Mexikaner schlief. Aber jetzt war
nichts mehr zu erklären. Lachmann hörte auch schon nichts mehr, er hinkte
davon.
Ich ging auf mein Zimmer, machte aber kein
Licht. Gegenüber waren einige Fenster hell; in einem sah ich einen Mann, der
Frauenwäsche anzog. Er stand nackt und haarig vor einem Spiegel und schminkte
sich. Dann zog er hellblaue Schlüpfer an und legte einen Büstenhalter um, in
den er Klosettpapier stopfte. Er war so sehr bei der Sache, daß er vergessen
hatte, seinen Fenstervorhang zuzuziehen. Ich hatte ihn schon einige Male
beobachtet, er
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