E.M. Remarque
damit mehreren Emigranten das Leben. Sie
konnten über die Grenze in die Pyrenäen entkommen. Es waren Leute, die von der
Gestapo gesucht wurden. Kahn brachte es fertig, sie so lange in französischen
Klöstern zu verstecken, bis man Gelegenheit hatte, sie abzuschieben. Ich wußte
von zwei Fällen, in denen er den Rücktransport von Emigranten nach Deutschland
verhütet hatte. Im einen hatte er dem Feldwebel erklärt, daß Spanien ein
besonderes Interesse an dem Gefangenen habe, da es ihn wegen seiner
Sprachkenntnisse als Gegenspion in England ausbilden lassen wolle, beim andern
hatte er mit Kognak und Rum gearbeitet und der Wache dann gedroht, sie
anzuzeigen, weil sie sich hatte bestechen lassen.
Als man dann nichts mehr von Kahn hörte,
waren die Gerüchte wie ein Schwarm Krähen aufgeflogen. Jeder wußte, daß dieser
Ein-Mann-Feldzug nur mit dem Tod enden konnte. Kahn war ohnehin kühner und
kühner geworden, und es war, als hätte er sein Schicksal geradezu
herausgefordert. Plötzlich wurde es still. Ich selbst hatte angenommen, er sei
längst von den Deutschen in einem Konzentrationslager zu Tode gepeitscht oder
wie ein Stück Schlachtvieh an einem Fleischerhaken aufgehängt worden – bis
ich von Lachmann gehört hatte, daß er entkommen war.
***
Ich fand ihn in einem Laden, in
dem gerade eine Rundfunkrede von Präsident Roosevelt übertragen wurde. Es war
ein ungeheurer Lärm, der durch die offenen Türen auf die Straße hinausschwoll.
Vor dem Fenster standen Leute und hörten zu.
Ich versuchte mit Kahn zu sprechen. Es war
unmöglich, wir hätten schreien müssen. Wir verständigten uns durch Gesten. Er
zuckte bedauernd die Achseln, deutete auf das Radio und auf die Zuhörer draußen
und lächelte. Ich verstand: Er fand es wichtig, daß man der Rede von Roosevelt
zuhörte, und wollte sie meinetwegen nicht versäumen. Ich setzte mich neben das
Fenster, holte eine Zigarette heraus und hörte zu. Ich hörte dem Politiker zu,
der dafür gesorgt hatte, daß wir nach Amerika kommen konnten.
Kahn war ein schmächtiger Mann mit
schwarzen Haaren und großen, flackernden, schwarzen Augen. Er war jung, nicht
älter als dreißig. Sein Gesicht zeigte nichts von der Verwegenheit seines
Lebens, er hätte eher ein Poet sein können, so nachdenklich und offen waren
diese Züge. Aber Rimbaud und Villon waren auch Poeten gewesen; nur einem
Dichter konnte all das einfallen, was er getan hatte.
Der Lautsprecher schwieg plötzlich.
»Entschuldigen Sie«, sagte Kahn, »ich mußte die Rede zu Ende hören. Haben Sie
die Leute draußen gesehen? Ein Teil davon könnte den Präsidenten umbringen, er
hat viele Feinde. Sie behaupten, daß er Amerika in den Krieg gebracht hat, und
machen ihn für die amerikanischen Verluste verantwortlich.«
»Für die in Europa?«
»Auch für die im Pazifik. Dort haben ihm
allerdings die Japaner die Verantwortung abgenommen.« Kahn sah mich genauer an.
»Kennen wir uns nicht von irgendwoher? Aus
Frankreich?«
Ich erklärte ihm meine Schwierigkeiten.
»Wann müssen Sie raus?« fragte er.
»In vierzehn Tagen.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung.«
»Mexiko«, sagte er. »Oder Kanada. Mexiko
ist einfacher, die Regierung dort ist freundlicher, sie hat auch die spanischen
Réfugies aufgenommen. Wir können bei der Gesandtschaft anfragen.«
»Was für Papiere haben Sie?«
Ich sagte es ihm. Ein Lächeln veränderte
sein Gesicht. »Immer dasselbe«, murmelte er. »Sie wollen bei Ihrem Paß
bleiben?« fragte er dann.
»Ich muß. Er ist alles, was ich habe. Wenn
ich zugebe, daß er nicht echt ist, setzt man mich ins Gefängnis.«
»Das vielleicht nicht mehr. Aber er hilft
Ihnen auch nichts. Haben Sie heute abend etwas
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