E.M. Remarque
andern Lokale. »Das
Bistro ist geschlossen«, sagte Natascha. »Der Besitzer hat es verkauft. Er ist
nach Europa gefahren, um bei de Gaulles Einzug in Paris dabeizusein.«
»Wirklich? Konnte er reisen?«
»Es scheint so. Unter den französischen
Emigranten ist das Rückwanderfieber ausgebrochen. Sie fürchten, zu spät nach
Hause zu kommen und dann als Deserteure behandelt zu werden. Gehen wir in den
Coq d'or. Das ist so ähnlich wie das Bistro.«
»Gut. Ich hoffe, der Besitzer ist noch da.
Er ist doch auch Franzose.«
Das Lokal war gemütlich.
»Wir haben einen vorzüglichen Anjou rosé,
wenn Sie Wein wollen«, sagte der Eigentümer.
»Gut.«
Ich sah ihn neidisch an. Er war ein anderer
Emigrant als wir. Er konnte zurück. Sein Land war besetzt und würde befreit.
Meines nicht.
»Du bist braun«, sagte Natascha. »Was hast
du getan? Nichts oder noch weniger?«
Sie wußte, daß ich bei Holt gearbeitet
hatte, aber sie wußte nicht viel mehr. Ich erklärte ihr, was ich getan hatte,
um über die erste Viertelstunde mit ihren unnötigen Fragen hinwegzukommen.
»Mußt du wieder hin?« fragte sie.
»Nein, Natascha.«
»Ich hasse den Winter in New York.«
»Ich hasse ihn überall, nur nicht in der
Schweiz.«
»Warst du dort in den Bergen?«
»Nein, im Gefängnis, weil ich keine Papiere
hatte. Aber das Gefängnis war gut geheizt. Ich verbrachte dort schöne Wochen.
Ich konnte den Schnee sehen, ohne darin herumlaufen zu müssen. Es war das
einzige geheizte Gefängnis, in dem ich gewesen bin.«
Sie lachte plötzlich. »Man weiß nie, ob du
schwindelst oder nicht.«
»Das ist der einzige Weg, um Dinge zu
erzählen, die man immer noch für Ungerechtigkeiten hält. Ein sehr altmodisches
Prinzip. Es gibt keine Ungerechtigkeiten. Nur schlechte Chancen.«
»Glaubst du das?«
»Nein, Natascha. Nicht, wenn ich neben dir
sitze.«
»Hast du mit vielen Frauen geschlafen in
Kalifornien?«
»Mit keiner.«
»Natürlich nicht. Armer Robert.«
Ich sah sie an. Ich haßte es, wenn sie mich
so nannte. Das Gespräch lief ganz anders, als ich gewollt hatte. Ich hätte
versuchen sollen, so schnell wie möglich mit ihr zu schlafen. Dies alles waren
störende Vorgeplänkel. Ich hätte sie im Hotel treffen sollen, um sie gleich auf
Lisa Teruels Zimmer zu schleppen. Dieses hier war gefährlich. Wir strotzten vor
Stacheln und vor freundlichen Worten, in denen Zeitzünder versteckt waren. Ich
wußte, daß sie darauf wartete, daß ich ihr die gleiche Frage stellte.
»Das Klima in Hollywood ist nicht danach«,
sagte ich. »Es macht müde und gleichgültig.«
»Hast du deshalb so wenig von dir hören
lassen?« fragte sie.
»Nein, nicht deshalb. Ich kann keine Briefe
schreiben. Mein Leben war so, daß ich nie wußte, an wen ich hätte schreiben
können. Unsere Adressen waren Adressen für Tage, und sie wechselten immerfort.
Ich konnte nur in der Gegenwart leben und für den Augenblick. Ich hatte nie
eine Zukunft und konnte mir auch keine vorstellen. Ich dachte, du wärst
ähnlich.«
»Woher weißt du, daß ich es nicht bin?«
Ich schwieg. »Man trifft sich wieder, und
alles ist wie vorher«, sagte ich dann. – »Das wollen wir doch.«
Ich geriet immer mehr in die Falle. Ich mußte
rasch heraus. »Nein«, sagte ich. »Ich nicht.«
Sie blickte mich rasch an. »Du nicht? Du
hast es doch gerade gesagt.«
»Es ist anders. Ich wußte es vorher nicht.
Ich weiß es jetzt.«
»Was ist anders?«
Dies war ein Verhör. Ich konnte meine
Gedanken nicht zusammenhalten. Sie irrten ab. Ich dachte an den Mann, der ins
Bordell ging, ehe er die Frau traf. Ich hätte es auch tun sollen, dann wäre ich
jetzt klarer gewesen. Ich hatte vergessen oder nie darüber nachgedacht, welchen
Reiz Natascha auf mich ausgeübt hatte. Am Anfang unserer Beziehung war das
nicht so gewesen, und
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