E.M. Remarque
das Telefon. In dem
Augenblick, als ich sie ausgesprochen hatte, wußte ich, was sie darauf
antworten würde. Ich war ungeschützt für jeden Schlag. Aber sie antwortete
nichts. Ich hörte das Klicken des Hörers, der aufgehängt wurde. Sie hatte nicht
reagiert. Ich war erleichtert und enttäuscht. Ich hätte jetzt fast lieber einen
Streit mit Beschimpfungen gehabt. Ihre Ruhe war verdächtig.
Ich stand im Zimmer von Lisa Teruel und zog
mich an. Das Zimmer roch abends mehr nach Schwefel und Lysol als am Morgen. Ich
überlegte, ob ich nicht noch wechseln sollte. Raouls hinterlassene Atmosphäre
hätte mich besser für den Waffengang gestählt, der, wie ich annahm, vor mir lag.
Was ich brauchte, war eine gleichgültige Ruhe, die nicht gespielt wirken
durfte, sonst wäre ich verloren. Raoul mit seiner Abneigung gegen Frauen war da
ein besserer Schild als Lisa, von der ich glaubte, sie sei aus Enttäuschung
gestorben. Ich überlegte sogar einen Augenblick, ob ich nicht vorher mit jemand
schlafen könnte, um nicht anzufangen zu zittern, wenn ich Natascha traf. Ich
hatte jemand in Paris gekannt, der ins Bordell ging, bevor er eine Frau traf,
mit der er nicht mehr Zusammensein wollte, auf die er aber immer wieder
hereinfiel. Aber ich verwarf den Gedanken sofort; außerdem kannte ich keine
Bordelle in New York.
»Gehst du zu einem Begräbnis?« fragte
Melikow. »Wie wäre es mit einem Wodka?«
»Nicht einmal das«, erwiderte ich. »So
ernst ist die Sache. Dabei ist sie gar nicht ernst. Ich darf nur keine Fehler
machen. Wie sieht Natascha aus?«
»Besser denn je! Ich kann dir nicht helfen,
es ist so!«
»Hast du heute abend Dienst?«
»Die ganze Nacht bis sieben Uhr morgens.«
»Gott sei Dank. Adieu, Wladimir, du kannst
dir nicht vorstellen, was für ein Idiot ich bin. Warum habe ich nicht öfter
geschrieben und telefoniert! Und ich war noch stolz darauf!«
Ich ging in die kalte Nacht hinaus, angetan
mit Angst, Hoffnung, guten Vorsätzen, Reue und einem neuen Mantel von der
Stange. Außerdem voll von Lügen und strategischen Plänen.
Ich sah das Licht aufflammen und hörte das
Summen des Aufzugs. »Natascha«, sagte ich rasch. »Ich bin voll von Verwirrung,
Reue, Hoffnung, Lügen und strategischen Plänen hierher gekommen. Ich habe alles
vergessen in dem Augenblick, als du aus der Türe kamst. Geblieben ist nur eins:
Meine völlige Verständnislosigkeit dafür, daß ich jemals von dir weggehen
konnte.«
Ich nahm sie in die Arme und küßte sie. Ich
spürte, wie sie sich mir entzog, und hielt sie fester. Sie gab nach, und in dem
Augenblick, als ich sie losließ, machte sie sich frei. »Du siehst so verwirrt
aus«, sagte sie, »und du bist dünner geworden.«
»Ich habe von Gras und Diät gelebt.
Gelegentlich von einer großen Portion Salat an Sonn- und Feiertagen.«
»Mich hat man zu Gala-Essen ins Twenty-One
und in den Pavillon mitgenommen. Bin ich zu dick?«
»Ich wollte, du wärst es. Dann gäbe es mehr
von dir. Aber du bist es nicht.«
Ich überhörte geflissentlich diesen Satz
mit dem Gala-Essen, der wie ein Schlag gegen mich hätte wirken sollen. Ich war
jetzt wirklich verwirrt, in einem Wirbel von Freude, Vorsicht und dem
plötzlichen Zittern, seit ich sie umarmt hatte. Sie trug nie viel unter ihren
Kleidern und wirkte, wenn man sie anfaßte, immer nackt und glatt und warm und
aufregend. Ich hatte nicht mehr daran gedacht; jetzt dachte ich nur noch daran.
»Ist dir nicht kalt?« fragte ich idiotisch.
»Mein Mantel ist warm. Wohin gehen wir?«
Ich hütete mich, das Twenty-One oder den
Pavillon zu erwähnen. Es war nicht notwendig, noch einmal zu hören, daß sie da
jeden Tag gewesen sei und keine Lust mehr habe. »Wie wäre es mit dem Bistro?«
Das Bistro war ein kleines französisches
Restaurant an der Dritten Avenue. Es war halb so teuer wie die
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