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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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an­ein­an­der freu­en, ehe wir aus­ein­an­der­stre­ben.
Un­ser ge­mein­sa­mes Schick­sal ist wie bei Sol­da­ten nach dem Krie­ge. Bald wer­den
sie wie­der Freun­de, kei­ne Ka­me­ra­den mehr sein, es wird wie­der so sein, wie es
einst ge­we­sen ist. Da soll­ten wir uns zum Ab­schied noch ein­mal an all dem
freu­en, was wir ein­an­der ge­we­sen und nicht ge­we­sen sind.«
    »Das mei­ne ich! Eben das mei­ne ich! Ro­sy
hat Ih­nen Ihr letz­tes Gu­lasch schon zu­recht­ge­macht. Mit Trä­nen. Und reich­lich.«
    »Das ist schön. Ich wer­de es sehr
ver­mis­sen.«
    Ich wur­de im­mer hei­te­rer. Es mag sein, daß
Ver­zweif­lung da­bei war, aber wann war die nicht da­bei. Mir schi­en, daß nichts
Schlim­mes pas­sie­ren könn­te, auch für Kahn nicht, ge­ra­de weil al­les so
of­fen­kun­dig ge­we­sen war, so voll Ha­ken und Spit­zen und An­deu­tun­gen, daß es
ein­fach nicht mög­lich zu sein schi­en, daß es auch noch ein­trä­fe.
    Ich nahm mei­nen Topf mit Gu­lasch und ging
mit dem Ge­fühl nach Hau­se, das man manch­mal hat, wenn man ab­strei­fen kann, was
wie ein Blei­him­mel auf ei­nem ge­le­gen hat, und man über­ra­schend das quel­len­haf­te
Le­ben in sich si­ckern spürt, jen­seits von al­lem, was viel­leicht noch kom­men
kann und kom­men wird.

XXXIII.
    I ch fand Kahn am nächs­ten
Mit­tag. Er hat­te sich er­schos­sen. Er lag nicht auf sei­nem Bett, son­dern hat­te
in ei­nem Stuhl ge­ses­sen, von dem er her­un­ter­ge­rutscht war. Es war ein sehr
hel­ler Tag, von ei­ner fast schnei­den­den Klar­heit. Die Vor­hän­ge wa­ren nicht
zu­ge­zo­gen. Das Licht ström­te ins Zim­mer, und Kahn lag zu­sam­men­ge­sun­ken vor dem
Stuhl. Es wirk­te im ers­ten Au­gen­blick so un­wirk­lich, als könn­te es nicht wahr
sein. Dann hör­te ich das Ra­dio, das wei­ter­ge­spielt hat­te, seit er tot war, und
ich sah den zer­split­ter­ten Kopf. Das Ge­sicht war auf ei­ner Sei­te heil er­schie­nen,
als ich es von der Tür her sah. Erst als ich nä­her her­an­kam, konn­te ich die
Zer­stö­rung be­mer­ken. Kahn lag auf der Sei­te, die weg­ge­platzt war.
    Ich wuß­te nicht, was ich tun soll­te. Ich
hat­te ge­hört, daß man in sol­chen Fäl­len die Po­li­zei an­ru­fen müs­se und daß
nichts be­rührt wer­den dür­fe, bis sie da war. Ich starr­te ei­ne Zeit­lang auf das,
was Kahn ge­we­sen war, und hat­te nur das tau­be Ge­fühl, daß es nicht wahr war.
Was da am Bo­den lag, hat­te mit Kahn so we­nig zu tun wie die Wachs­fi­gu­ren in
ei­nem Schau­ka­bi­nett mit den Fi­gu­ren, die sie dar­stel­len. Ich selbst fühl­te mich
wie ei­ne Wachs­fi­gur, die noch leb­te. Dann erst, plötz­lich, wach­te ich auf zu
mir selbst und zu ei­nem ent­setz­li­chen Wirr­warr von Schmerz und Reue. Ich
glaub­te fest, und es war un­er­träg­lich, daß ich schuld an Kahns Tod sei. Er
hat­te es mir so fürch­ter­lich klar­ge­macht am Abend vor­her, daß es schon bei­na­he
me­lo­dra­ma­tisch ge­wirkt hat­te und so fremd für Kahns Cha­rak­ter, daß ich mich
nicht hät­te be­ru­hi­gen dür­fen.
    Und es wur­de mir grau­en­haft klar, wie
ein­sam Kahn ge­we­sen war und wie sehr er mich ge­braucht hat­te, als ich al­le
Zei­chen über­se­hen hat­te, weil ich sie über­se­hen woll­te.
    Es war nicht das ers­te Mal, daß ich einen
To­ten sah, und auch nicht das ers­te Mal, daß es ein to­ter Freund war, ich hat­te
vie­le ge­se­hen und un­ter schau­er­li­chen Um­stän­den, aber dies war et­was an­de­res.
Kahn war für mich und vie­le an­de­re so et­was wie ein Denk­mal ge­we­sen, er schi­en
mehr Ei­sen und Erz ge­habt zu ha­ben als je­der an­de­re, er war ein Kon­dot­tie­re
ge­we­sen und ein Don Qui­chot­te, ein Ro­bin Hood und ein Schin­der­han­nes, der
Ret­ter aus ei­ner Sa­ge, ein Rä­cher und ein Kind des Glückes, ein Tän­zer aus
Stahl, töd­lich und ele­gant wie ein wit­zi­ger Sankt Ge­org, der die Dra­chen der
Zeit über­töl­pel­te und ih­nen ih­re Op­fer ent­riß.
    Ich hör­te auf ein­mal wie­der das Ra­dio und
dreh­te es ab. Ich such­te mit den Au­gen nach ei­nem Brief oder ir­gend et­was, das
er hin­ter­las­sen hat­te; aber mir war so­fort klar, daß ich nichts fin­den wür­de.
Er war eben­so ein­sam ge­stor­ben, wie er ge­lebt hat­te.

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