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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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sich nicht her­un­ter und rühr­te Kahn auch nicht an. »Wir müs­sen
die Po­li­zei be­nach­rich­ti­gen«, sag­te er. »Wol­len Sie da­bei sein, wenn sie
kommt?« – »Muß ich das nicht?« – »Ich kann sa­gen, ich hät­te ihn
ge­fun­den. Es gibt vie­le Fra­gen, wenn die Po­li­zei kommt. Wol­len Sie die
ver­mei­den?« – »Jetzt nicht mehr«, sag­te ich.
    »Ih­re Pa­pie­re sind in Ord­nung?« – »Es
macht nichts mehr.«
    »Doch, es macht et­was«, sag­te Ra­vic. »Und
Kahn nützt es nichts mehr.«
    »Ich wer­de blei­ben«, er­wi­der­te ich. »Es ist
mir egal, ob die Po­li­zis­ten glau­ben, ich hät­te ihn er­mor­det.«
    Ra­vic sah mich an. »Glau­ben Sie das nicht
selbst?«
    Ich starr­te ihn an. »Warum den­ken Sie das?«
    »Es ist nicht schwie­rig zu er­ra­ten. Ma­chen
Sie sich dar­über kei­ne Ge­dan­ken, Ross. Wenn man al­le Zu­fäl­le als Schick­sal
be­trach­ten wür­de, könn­te man kei­nen Schritt mehr tun.« Er blick­te in das star­re
Ge­sicht, das kei­ner von uns mehr er­kann­te. »Mir schi­en im­mer, daß er nicht
wuß­te, was er im Frie­den an­fan­gen soll­te.« – »Wis­sen Sie es denn?«
    »Für einen Arzt ist es ein­fach. Men­schen
wie­der zu­sam­men­zu­fli­cken, da­mit sie im nächs­ten Krieg ge­tö­tet wer­den kön­nen.«
Er hob das Te­le­fon ab und rief die Po­li­zei an. Er muß­te die Num­mer und die
Adres­se mehr­mals sa­gen. »Ja, er ist tot«, er­klär­te er. »Ja, gut! Wann? Gut.« Er
leg­te den Hö­rer auf. »Sie kom­men, so­bald es geht. Sie ha­ben viel zu tun, sag­te
der Ser­geant. Mor­de gin­gen vor. Dies wä­re nicht der ein­zi­ge Selbst­mör­der in New
York.«
    Wir sa­ßen und war­te­ten. Wie­der schi­en es,
als hin­ge die Zeit tot zwi­schen uns. Ich ent­deck­te ei­ne elek­tri­sche Uhr auf
Kahns Ra­dio­ap­pa­rat. Es war son­der­bar, wenn ich dach­te: Kahns Ra­dio­ap­pa­rat und
Kahns Uhr. Es war be­reits ein Ana­chro­nis­mus, und es kam mir nicht ganz rich­tig
vor. Be­sitz war mit Le­ben ver­bun­den. Die­se Din­ge ge­hör­ten nicht mehr Kahn, weil
er nicht mehr zu ih­nen ge­hör­te. Er hat­te sie zu­rück­ge­ge­ben an ei­ne große
An­ony­mi­tät. Sie wa­ren her­ren­los ge­wor­den und trie­ben na­men­los um­her wie Ge­gen­stän­de
im All oh­ne Schwer­ge­wicht.
    »Blei­ben Sie in Ame­ri­ka?« frag­te ich Ra­vic.
    Er nick­te. »Ich ha­be zwei­mal mei­ne
Prü­fun­gen als Arzt wie­der­ho­len müs­sen, in Pa­ris und dann hier. Wenn ich
zu­rück­gin­ge, wür­de ich nicht über­rascht sein, wenn man sie drü­ben noch ein­mal
ver­lan­gen wür­de.«
    »Das ist doch un­mög­lich.«
    Ra­vic sah mich iro­nisch an. »Mei­nen Sie?«
Er deu­te­te zu Kahn hin­über, der am Bo­den aus­sah, als sei er kei­ne zwan­zig Jah­re
alt. »Der da hat­te kei­ne Il­lu­sio­nen. Man wird uns wohl has­sen wie vor­her! Glau­ben
Sie noch im­mer an das Mär­chen von den ar­men, ver­ge­wal­tig­ten Deut­schen? Schau­en
Sie doch in die Zei­tun­gen! Sie ver­tei­di­gen je­des Haus, ob­schon sie schon
zehn­mal den Krieg ver­lo­ren ha­ben. Sie ver­tei­di­gen ih­re Na­zis wü­ten­der als ei­ne
Mut­ter ih­re Kin­der, und sie ster­ben auch noch für sie.« Er schüt­tel­te är­ger­lich
und trau­rig den Kopf. »Der dort wuß­te, was er tat. Er war nicht ver­zwei­felt. Er
sah nur kla­rer als wir.« Ra­vic raff­te sich zu­sam­men. »Ich bin trau­rig«, sag­te
er. »Ich trau­re um Kahn. Er hat mich 1940 ge­ret­tet. Ich war im La­ger. Im
In­ter­nie­rungs­la­ger der Fran­zo­sen. Zu­sam­men­ge­fan­gen in der all­ge­mei­nen Angst.
Die Deut­schen ka­men. Der Kom­man­dant woll­te uns nicht lau­fen las­sen. Ich wuß­te,
daß man mich such­te. Man hät­te mich auf­ge­hängt, wenn man mich ge­fun­den hät­te.
Kahn fand her­aus, wo ich war. Er er­schi­en in SS-Uni­form mit zwei Be­glei­tern im
Camp, schrie den fran­zö­si­schen Kom­man­dan­ten an und ver­lang­te, daß man mich ihm
aus­lie­fer­te.«
    »Klapp­te es?«
    »Nicht ganz«, er­wi­der­te Ra­vic tro­cken. »Der
Kom­man­dant be­sann sich plötz­lich auf sei­ne ver­damm­te mi­li­tä­ri­sche Eh­re. Er
be­haup­te­te, ich sei nicht im La­ger und wä­re schon ent­las­sen. Er hat­te nichts
da­ge­gen, uns in cor­po­re zu über­ge­ben, bei

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