E.M. Remarque
ist. Gute Nacht, Robert.«
»Gute Nacht, Kahn. Ich sehe morgen Mittag
bei Ihnen vorbei.«
»Tun Sie das.«
Ich hatte ein schlechtes Gefühl und wollte
ihm nachgehen, aber ich war zu verwirrt mit mir selber, mit der ganzen
absurden, trostlosen Feier und mit dem, was Kahn zum Schluß noch gesagt hatte.
Ich blieb sitzen und horchte achtlos auf Lachmann, der mir erklärte, daß er
sicher wieder gesund würde, wie er das nannte; er habe seit vier Wochen ein
zwar etwas stockendes, aber doch normales Verhältnis mit einer Witwe. »Alles
das wird vorbei sein wie ein böser Traum«, erklärte er mit Augen, in denen das
Weiße unterhalb der Iris zu sehen war.
»Dein katholischer Beruf auch?« fragte ich.
»Die Rosenkränze und Heiligenfiguren?«
»Das werde ich später sehen. Vorläufig habe
ich keine Eile. Ich bin der beste Reisende, den die Leute haben. Mit einem
andern Glauben hat man doch eine ganz andere Distanz und eine größere Freiheit.
Das kommt dem Geschäft mächtig zugute. Die Leute glauben einem auch mehr, weil
man nicht aktiv beteiligt ist.«
»Du gehst also nicht zurück, wie?«
»In einigen Jahren vielleicht einmal. Zu
Besuch. Doch das hat Zeit, viel Zeit.«
Ich sah ihn neidisch an. »Was warst du
früher?« fragte ich. »Vor den Nazis.«
»Student und der Sohn wohlhabender Eltern.
Gelernt habe ich nichts.«
Ich konnte ihn nicht fragen, was aus seinen
Eltern geworden war, aber ich hätte gerne gewußt, was in seinem Kopf vorging.
Kahn hatte mir einmal gesagt, daß die Juden kein Volk der Rache wären,
vielleicht war etwas daran. Sie seien neurasthenisch wie ihr Haß, der zu rasch
in Resignation umschlage, und, um das Gesicht vor sich zu wahren, in
Verständnis für den Feind. Das war, wie jede extreme und allgemeine Behauptung,
nur zum Teil zutreffend. Trotzdem hatte ich es mir gemerkt. Sie waren kein Volk
der Rache, sie waren zu kultiviert und sublimiert. Ich war das alles nicht,
dachte ich. Ich war allein und ich kam mir wie ein Troglodyt vor. Aber da war
etwas, über das ich nicht hinweg konnte, und es war so sehr da, daß alle
Versuche, es zu umgehen oder wegzurücken, mich mit einer jähen, ungeduldigen
Hitze füllten, die rasch unerträglich wurde. Es war eine mir selbst fast
unverständliche Sache des Blutes, von der ich wußte, daß sie mich ins Verderben
führen würde. Ich kämpfte gegen sie, ich versuchte, ihr zu entkommen, und
manchmal schien es mir, als gelänge es beinahe. Aber dann kam irgend etwas,
eine Erinnerung, ein schwerer Traum oder, wie jetzt, eine Möglichkeit, diesem
lautlos wartenden Verhängnis näher zu kommen – und alle Illusionen des
Entkommens wurden niedergedrückt wie eine Wolke von Schmetterlingen durch einen
Eisregen. Ich wußte wieder, daß es da war und daß ich mich ihm stellen mußte.
Es war in meinem Blut, und es verlangte Blut. Ich konnte versuchen, es zu ironisieren
und es zu bewitzeln und es im Licht des klaren Tages zu verspotten: Es blieb,
und nachts holte es schweigend alles wieder auf, was ich glaubte, in der Sonne
zurückgedrängt zu haben.
»Seien Sie ein bißchen fröhlicher, Herr
Robert«, sagte Frau Vriesländer. »Schließlich ist dies unser letztes
Beisammensein als Emigranten.«
»Das letzte?«
»Bald löst sich doch alles auf. Die Zeit
Ahasverus ist vorüber.«
Ich sah die brave, dicke Frau verdutzt an.
Von wem hatte sie das nur? Ich wurde plötzlich ohne irgendeinen Grund heiter.
Ich vergaß Kahn und meine eigenen Gedanken, ich blickte in das rosige Gesicht
reiner, gütiger Dummheit, und ich erfaßte mit einem Schlage, wie absurd diese
Trauer- und Siegesaffäre mit ihrer harmlosen, prächtigen und rührenden
Konfusion eigentlich war.
»Sie haben recht, Frau Vriesländer«, sagte
ich. »Wir sollten uns noch etwas
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