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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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hat­te er es ge­tan, um
dem ver­spreng­ten Hau­fen so et­was wie einen Mit­tel­punkt zu ge­ben. Es hat­te sich
ge­zeigt, daß die As­si­mi­lie­rung mit Ame­ri­ka­nern den nor­ma­len Ver­lauf nahm, wie
bei al­len Mi­no­ri­tä­ten – sie fand erst in der zwei­ten Ge­ne­ra­ti­on statt. Die
ers­te hock­te un­ter sich, die zwei­te schwärm­te dann aus. Grün­de wa­ren die
man­gel­haf­te Be­herr­schung der Spra­che, über­lie­fer­te Ge­wohn­hei­ten und die
Schwie­rig­keit, sich im vor­ge­rück­ten Al­ter noch an­zu­pas­sen. Die Kin­der, die in
ame­ri­ka­ni­sche Schu­len gin­gen, glit­ten oh­ne vie­le Rei­bun­gen in die Ge­wohn­hei­ten
des Lan­des hin­ein. Die El­tern nicht. Da­her kam – bei al­ler Dank­bar­keit für
die Auf­nah­me – das lei­se Ge­fühl, in ei­nem an­ge­neh­men Ge­fäng­nis oh­ne Mau­ern
zu sit­zen, und der ein­zel­ne wur­de sich nicht be­wußt, daß nur er selbst es war,
der die Schran­ken er­rich­te­te und fühl­te. Das Land selbst war das frem­den­freund­lichs­te
der Welt.
    »Ich blei­be hier«, sag­te Tan­nen­baum, der
wie­der ein­mal aus Hol­ly­wood zu­rück­ge­kehrt war, um im Thea­ter einen SS-Mann zu
spie­len. »Das ist der ein­zi­ge Platz, wo wir nicht als Ein­dring­lin­ge und
Fremd­kör­per be­han­delt wer­den. Über­all sonst war es an­ders. Ich blei­be hier.«
    Ve­sel starr­te ihn an. »Und wenn Sie kei­ne
Ar­beit mehr fin­den? Sie ha­ben einen star­ken Ak­zent, und wenn der Krieg jetzt zu
En­de geht, hört es mit Ih­ren Rol­len auf.«
    »Im Ge­gen­teil, dann geht es erst los.«
    »Sie sind nicht Gott und all­wis­send«, sag­te
Ve­sel scharf.
    »Eben­so we­nig wie Sie, Ve­sel. Aber ich ha­be
Ar­beit.«
    »Aber mei­ne Her­ren«, rief Frau Vries­län­der,
»doch kei­nen Streit! Jetzt, wo wir al­les hin­ter uns ha­ben!«
    »Ha­ben wir?« frag­te Kahn.
    »Nicht, wenn Sie zu­rück­ge­hen«, sag­te
Tan­nen­baum. »Was mei­nen Sie, wie es da jetzt aus­sieht?«
    »Hei­mat ist Hei­mat«, er­klär­te Ve­sel.
    »Und Schei­ße ist Schei­ße.«
    »Ich muß zu­rück«, sag­te Frank trau­rig. »Was
soll ich an­de­res tun?«
    Es war die Fra­ge die­ses trüb­se­li­gen Abends,
den al­le so voll von Zu­kunfts­ge­dan­ken be­gon­nen hat­ten. Plötz­lich war das
pas­siert, was Kahn vor­aus­ge­sagt hat­te. Die, die blei­ben woll­ten, hat­ten, ge­ra­de
weil sie nun bald zu­rück konn­ten, das un­ge­wis­se Ge­fühl, da­durch et­was ver­lo­ren
zu ha­ben. Das Blei­ben war nicht mehr ganz so strah­lend wir vor­her, ob­schon es
sich in nichts ge­än­dert hat­te. Und die, die zu­rück woll­ten und im­mer Eu­ro­pa als
die al­te Hei­mat vor sich hat­ten schim­mern se­hen, spür­ten auf ein­mal, daß es ein
ver­wüs­te­tes Land vol­ler Pro­ble­me war und nicht ein Pa­ra­dies. Es war wie bei
ei­nem Wet­ter­häus­chen: Wenn die ei­ne Fi­gur her­vor­trat, ging die an­de­re zu­rück.
Die barm­her­zi­gen Il­lu­sio­nen, von de­nen al­le ge­lebt hat­ten, zer­platz­ten. Bei­de,
so­wohl die Heim­keh­rer wie die Da­blei­ber, hat­ten das Ge­fühl der De­ser­ti­on. Es
war die letz­te Il­lu­si­on. Sie de­ser­tier­ten die­ses Mal sich selbst.
    »Lis­sy will zu­rück«, sag­te Kahn. »Lu­cy, der
an­de­re Zwil­ling, will blei­ben. Sie wa­ren fast nie ge­trennt. Bei­de glau­ben, die
an­de­re sei ei­ne Egois­tin, und das Gan­ze ist ei­ne Tra­gö­die.«
    Ich sah ihn an. Ich wuß­te nicht, wie er mit
Lis­sy stand. »Wol­len Sie Lis­sy nicht zu­re­den?« frag­te ich.
    »Nein. Der große Auf­bruch«, sag­te er
sar­kas­tisch. »Und die große Er­nüch­te­rung.«
    »Auch für Sie?«
    »Für mich?« sag­te er la­chend. »Ich
zer­plat­ze wie ein Bal­lon. Ich ge­he nicht hier­hin und nicht da­hin. Und Sie?«
    »Ich? Ich weiß es nicht. Es ist noch Zeit
ge­nug, dar­über nach­zu­den­ken.«
    »Das ha­ben Sie doch ge­tan, seit Sie hier
sind, Ro­bert.«
    »Es gibt Din­ge, die durch Nach­den­ken nicht
bes­ser wer­den. Man soll auch nicht zu­viel dar­über nach­den­ken. Sie wer­den nur
schlim­mer und schwie­ri­ger. Man tut sie plötz­lich.«
    »Ja«, sag­te er. »Man tut sie plötz­lich, das
ist es.«
    Vries­län­der zog mich bei­sei­te. »Ver­ges­sen
Sie nicht, was ich Ih­nen ge­sagt ha­be über

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