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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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Ich wuß­te auch gleich,
warum ich nach ei­ner Mit­tei­lung such­te. Es war, um mich zu ent­las­ten, um
ir­gend­ei­ne Ent­schul­di­gung zu fin­den, ein Wort von ihm, et­was, das mich
frei­spre­chen konn­te. Ich sah nichts. Da­für sah ich den zer­schos­se­nen Kopf jetzt
in sei­ner gräß­li­chen Wirk­lich­keit und doch auch so, als sä­he ich ihn weit
ent­fernt, wie durch ei­ne star­ke Glas­schei­be. Ich wun­der­te mich et­was ver­wirrt,
warum er sich er­schos­sen hat­te, es ging mir so­gar durch den Kopf, daß das kei­ne
To­des­art für einen Ju­den sei, aber wäh­rend ich es dach­te, er­in­ner­te ich mich
dar­an, daß Kahn das ge­sagt ha­ben könn­te in sei­ner sar­kas­ti­schen Art, daß es
nicht wahr sei, und daß ich be­reu­te, es über­haupt ge­dacht zu ha­ben. Qual­voll
über­fiel mich der Schmerz wie­der und das schlim­me Ge­fühl, das es gibt: Daß
et­was für im­mer aus­ge­löscht ist, als wä­re es nie ge­we­sen, und daß es viel­leicht
durch mei­ne Nach­läs­sig­keit ge­sche­hen war.
    Ich raff­te mich schließ­lich zu­sam­men. Ich
muß­te et­was tun. Mir fiel nichts an­de­res ein, als Ra­vic an­zu­ru­fen. Er war der
ein­zi­ge Arzt, den ich noch kann­te. Ich hob das Te­le­fon vor­sich­tig ab, als wä­re
es auch tot und dür­fe nicht mehr be­nützt wer­den. Ra­vic war in sei­nem Zim­mer. Es
war Mit­tag.
    »Ich ha­be Kahn tot ge­fun­den«, sag­te ich.
»Er hat sich er­schos­sen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Kön­nen Sie kom­men?«
    Ra­vic schwieg einen Au­gen­blick. »Er ist
si­cher tot?«
    »Si­cher. Der Kopf ist zer­schmet­tert.«
    Ich hat­te das hys­te­ri­sche Ge­fühl, daß Ra­vic
über­leg­te, ob es dann nicht Zeit ha­be bis nach der Mit­tags­ru­he oder dem
Mit­tages­sen; man denkt vie­les und sehr rasch in ei­nem sol­chen Au­gen­blick.
    »Tun Sie gar nichts«, sag­te Ra­vic. »Las­sen
Sie al­les, wie es ist. Und rüh­ren Sie nichts an. Ich kom­me so­fort.«
    Ich leg­te den Hö­rer auf. Mir fiel ein, daß
ich ihn ab­wi­schen soll­te, da­mit er kei­ne Fin­ger­ab­drücke zei­ge. Ich ver­warf den
Ge­dan­ken so­fort, ir­gend je­mand muß­te Kahn ja ge­fun­den und den Arzt
be­nach­rich­tigt ha­ben. Wie sehr das Ki­no un­se­re Art zu den­ken kor­rum­piert hat,
dach­te ich und haß­te mich so­fort, weil ich das dach­te. Ich setz­te mich auf einen
Stuhl ne­ben der Tür und war­te­te. Dann er­schi­en es mir fei­ge, so weit ent­fernt
von Kahn zu sit­zen, und ich setz­te mich an den Tisch im Zim­mer. Über­all
ent­deck­te ich Spu­ren von Kahns letz­ter Tä­tig­keit – einen ver­scho­be­nen
Stuhl, ein Buch, das ge­schlos­sen auf dem Tisch lag. Ich öff­ne­te es und hoff­te
dar­aus Auf­schluß zu ge­win­nen, aber es war we­der ei­ne An­tho­lo­gie deut­scher
Dich­ter noch ein Band von Franz Wer­fel, son­dern ein be­lang­lo­ser ame­ri­ka­ni­scher
Ro­man.
    Das Schwei­gen, das kei­nes war, weil der
ge­dämpf­te Lärm von drau­ßen es so son­der­bar mach­te, daß es da war und nicht da
war, wur­de drückend. Es schi­en sich in die schma­le dunkle Ecke un­ter dem Tisch
ne­ben dem To­ten zu­rück­ge­zo­gen zu ha­ben und dort zu kau­ern, als war­te es dar­auf,
daß der le­ben­de Lärm end­lich ver­stum­me und dem To­ten Ge­le­gen­heit ge­be, sich aus
sei­ner zu­sam­men­ge­sun­ke­nen, un­be­que­men Hal­tung aus­zu­stre­cken, um wirk­lich zu
ster­ben und nicht nur von ei­nem has­ti­gen Tod nie­der­ge­streckt zu sein wie ei­ne
blu­ti­ge Beu­te. Selbst das gel­be Licht schi­en still­zu­ste­hen, pa­ra­ly­siert und im
Fluge fest­ge­hal­ten durch et­was Un­sicht­ba­res als es selbst und stär­ker, so wie
al­le Stil­le plötz­lich stär­ker ist als das ge­schwin­des­te Le­ben. Ich glaub­te
einen Au­gen­blick, die Bluts­trop­fen auf den Fuß­bo­den fal­len zu hö­ren; aber ich
brauch­te mich nicht zu ver­ge­wis­sern, daß es nicht sein konn­te. Kahn war tot,
und es war un­faß­bar, so wie selbst der Tod ei­nes Ka­nin­chens un­faß­bar ist, weil
es nicht ge­lingt, es je zu ver­ste­hen, da es zu na­he am ei­ge­nen Tod ist und ihn
streift.
    Ra­vic kam lei­se her­ein, aber ich schreck­te
auf, als wä­re er ei­ne Dampf­wal­ze. Er ging gleich zu Kahn hin­über und sah ihn
an. Er beug­te

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