E.M. Remarque
durfte. Er hatte erwartet, daß er
natürlich selbst rechtzeitig in New York sein würde. Jetzt war sein Paß
abgelaufen, und Vriesländer war ein Millionär ohne Geld geworden. Er ging nach
Frankreich, die Behörden waren damals schon sehr nervös und behandelten ihn wie
einen der vielen Leute, die aus Angst um ihr Leben und um eine Aufenthaltsbewilligung
zu bekommen, alles mögliche erzählten. Zum Schluß bekam er auf seinen
abgelaufenen Paß ein Visum, weil er Verwandte in Amerika hatte, die für ihn
bürgten.
Als er den Stoß Aktien aus dem Safe
herausholte, küßte er die oberste und beschloß, seinen Namen zu ändern.
***
Dies war der letzte Tag
Vriesländers und der erste Tag Daniel Warwicks. Er hatte von der Möglichkeit
Gebrauch gemacht, bei der Einbürgerung seinen Namen zu ändern. Wir traten in
den erleuchteten großen Salon. Man sah sofort, daß Vriesländer die Zeit in
Amerika nutzbringend verwendet hatte. Überall war der Reichtum zu spüren. Im
Eßzimmer war ein riesenhaftes Büfett aufgebaut. Ein Tisch war mit Kuchen
bedeckt, darunter zwei Zuckertorten, rund, mit Aufschriften: ›Vriesländer‹ auf
der einen und ›Warwick‹ auf der andern. Die Vriesländer-Torte hatte einen
Schokoladenrand, den man mit einiger Phantasie als einen modifizierten
Trauerrand betrachten konnte, die mit der Aufschrift ›Warwick‹ dagegen hatte
einen rosa Marzipanrand, aus dem Rosen leuchteten. »Ein Gedanke meiner Köchin«,
sagte Vriesländer stolz. »Was meinen Sie dazu?«
Sein rotes, breites Gesicht glänzte vor
Vergnügen. »Die Vriesländer-Torte wird heute angeschnitten und aufgegessen«,
erklärte er. »Die andere bleibt ganz. Es ist eine Art Symbolik.«
»Wie sind Sie auf den Namen Warwick
gekommen?« fragte Kahn.
»Ist das nicht ein bekanntes Geschlecht aus
England?«
Vriesländer nickte. »Gerade deshalb! Wenn
ich mir schon einen Namen aussuchen kann, dann will ich diesmal etwas
Vernünftiges nehmen.«
»Was wollen Sie trinken, Herr Kahn?«
Kahn starrte ihn an. »Champagner! Dom
Pérignon. Das sind Sie Ihrem Namen schuldig!«
Vriesländer wurde einen Augenblick
verlegen. »Den haben wir leider nicht, Herr Kahn. Wir haben aber guten
amerikanischen Champagner.«
»Amerikanischen? Dann geben Sie mir lieber
ein Glas Bordeaux.«
»Kalifornischen. Wir haben da einen guten.«
»Herr Vriesländer«, erläuterte Kahn
geduldig, »Bordeaux ist zwar von den Deutschen besetzt, aber es liegt noch
nicht in Kalifornien. So weit brauchen Sie Ihr neues Nationalgefühl doch nicht
gleich zu treiben.«
»Das ist es nicht.« Vriesländer wölbte die
Smokingbrust. Er trug Hemdenknöpfe aus kleinen Saphiren. »Wir wollen uns an
diesem Tag einmal an nichts von früher erinnern. Wir hätten ein wenig holländischen
Genever bekommen können, auch deutschen Wein. Wir haben das selbstverständlich
abgelehnt, wir haben da zuviel durchgemacht. Auch in Frankreich, deshalb haben
wir keine französischen Weine bestellt. Sie schmecken außerdem gar nicht so
viel besser. Alles Reklame! Und der Mischwein aus Chile ist erstklassig.«
»Sie führen also einen Rachekrieg in
Getränken?«
»Es ist eine Sache des Geschmacks. Aber
kommen Sie zu Tisch, meine Herren.« Er ging uns voraus.
»Es gibt, wie Sie sehen, auch reiche
Emigranten«, sagte Kahn, »allerdings sehr wenig. Schon Vriesländer hat alles
verloren, was er noch in Deutschland gehabt hatte. Einige andere der ›smarten
Welle‹ haben sofort angefangen zu arbeiten und sind schon gut vorwärtsgekommen.
Dann ist da das Gros der Unentschlossenen. Sie treten auf der Stelle und wissen
nicht recht, ob sie zurück wollen oder nicht. Außerdem die, die zurück müssen,
weil sie hier keine Arbeit finden,
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