E.M. Remarque
Knöchel sind die einer Gazelle. Die Knie die
der Diana. Der Körper nicht zu dünn. Sie hat volle feste Brüste. Eine Haut ohne
Fehler. Die Füße einwandfrei. Sie hat nicht einmal die Andeutung eines
Hühnerauges.«
Ich schoß ihm einen Blick zu. »Sie glauben
mir nicht?« sagte er. »Ich weiß es genau. Außerdem heißt sie Carmen. Sie ist
Greta Garbo und Dolores del Rio in einem!«
»Und ...« sagte ich gespannt.
Kahn reckte sich. »Sie ist dumm«, erwiderte
er. »Nicht einfach dumm, sondern unbeschreiblich dumm. Das, was sie jetzt
gerade mit dem Apfelkuchen macht, ist bei ihr bereits eine hervorragende
geistige Leistung. Es erschöpft sie bereits. Sie müßte danach eigentlich
ausruhen. Ein Schlummerchen machen.«
»Schade«, sagte ich ohne Überzeugung.
»Faszinierend!«
»Wieso kann soviel Dummheit faszinierend
sein?«
»Weil sie so unerwartet ist.«
»Eine Statue ist noch dümmer.«
»Eine Statue redet nicht. Diese redet.«
»Was redet sie?«
»Das törichteste Zeug, das Sie sich denken
können. Nicht wie eine Kleinbürgerin, auch nicht wie eine Hausfrau. Perfekte
kuhhafte Dummheit. Ich habe sie gelegentlich in Frankreich gesehen. Ihre
Dummheit war so sagenhaft, daß sie sie wie ein Zaubermantel schützte.
Irgendwann einmal geriet sie in die Klemme. Es war höchste Zeit für sie zu
verschwinden. Ich wollte sie mitnehmen. Sie lehnte ab. Sie wollte erst baden
und sich anziehen. Dann wollte sie ihre Kleider mitnehmen und weigerte sich,
ohne Kleider mitzukommen. Das alles, während die Gestapo im Anmarsch war. Ich
hätte mich nicht gewundert, wenn sie noch zu einem Friseur gewollt hätte. Zum
Glück gab es keinen. Aber frühstücken wollte sie noch. Ich hätte ihr am
liebsten die Brötchen um die herrlichen Ohren geschlagen. Sie bekam ihr
Frühstück, doch ich zitterte vor Nervosität. Die Brötchen und die Marmelade,
die sie nicht aufaß, wollte sie mitnehmen. Sie suchte so lange nach einem Stück
sauberen Papiers, bis wir die Stiefel der Gestapo hörten. Dann stieg sie in
meinen Wagen, ohne Eile. An diesem Morgen habe ich mich in sie verliebt.«
»Sofort?«
»Als wir in Sicherheit waren. Sie merkte
nichts davon. Sie ist, fürchte ich, sogar zu dumm für die Liebe.«
»Ein großes Wort«, sagte ich.
»Ich hörte manchmal von ihr. Sie ist durch
alle Gefahren hindurchgesegelt wie ein schönes, faules Segelschiff. Sie war in
unglaublichen Situationen. Nichts ist ihr passiert. Ihre unbeschreibliche
Unbefangenheit entwaffnete sogar Mörder. Ich glaube, sie ist nicht einmal
vergewaltigt worden. Sie kam natürlich mit einem der letzten Flugzeuge hier an.
Als sie in Lissabon einstieg zu einem Haufen zitternder Flüchtlinge, meinte sie
gelassen: ›Wäre es nicht komisch, wenn das Flugzeug jetzt ins Meer abstürzen
würde?‹ Niemand hat sie gelyncht. Carmen heißt sie auch noch. Nicht Berta,
Ruth, Elisabeth – nein, Carmen!«
»Was macht sie jetzt?«
»Mit dem Glück einer heiligen Kuh hat sie
sofort eine Stellung als Mannequin bei Saks, Fifth Avenue, bekommen. Nicht
gefunden, das wäre zu anstrengend gewesen. Präsentiert bekommen.«
»Warum ist sie nicht beim Film?«
»Selbst dazu ist sie zu dumm.«
»Das ist unmöglich!«
»Sie ist nicht nur dumm, auch indolent.
Keine Ambition. Keine Komplexe. Eine wunderbare Frau!«
Ich griff nach einem Stück von der
Vriesländer-Torte. Die Warwicksche war inzwischen auf einer Anrichte in
Sicherheit gebracht worden. Die Vriesländersche war hervorragend – bittere
Schokolade mit Mandeln besteckt, möglicherweise auch ein Symbol. Ich konnte
verstehen, daß Kahn von Carmen fasziniert war. Sie hatte das, was er durch
Kühnheit und Todesverachtung geschafft hatte, von der Natur geschenkt bekommen.
Das mußte eine
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