E.M. Remarque
ich
doch auch nicht unbedingt eine Jüdin heiraten würde. »Warum nicht?« erwiderte
ich. »Als ich sechzehn Jahre alt war, hat mir mein Vater sogar geraten, eine zu
heiraten. Sonst, meinte er, würde bestimmt nichts aus mir.«
»Siehst du!« rief Julius.
Das Gespräch flammte aufs neue auf. Aber
Lowy senior gewann allein schon durch seinen Eifer gegen den Lyriker und
Träumer Julius an Boden. Ich hatte nichts anderes erwartet. Wäre Julius fest
entschlossen gewesen, er wäre nicht noch einmal im kleinen Besuchsanzug in der
Dritten Avenue erschienen, sondern gleich ins Haus der Göttin mit den gelben
Haarzotteln – gefärbt, wie der Senior glaubte – marschiert. Er ließ
sich nicht allzu ungern überreden, mit dem Antrag noch zu warten. »Du verlierst
nichts«, beschwor Lowy senior ihn. »Du überlegst es dir einfach noch mal.«
»Und wenn ein anderer kommt?«
»Es kommt kein anderer, Julius. Bist du
denn umsonst seit dreißig Jahren hier im Geschäft gewesen? Haben wir nicht
tausendmal behauptet, ein anderer Kunde sei hinter einem Objekt her und wolle
es kaufen, und es war immer ein fauler Trick? Aber Julius, nun komm und zieh
die Affenjacke aus!«
»Das tue ich nicht«, erklärte Julius mit
unerwarteter Schärfe. »Jetzt habe ich sie an und gehe aus.«
Lowy senior fürchtete ein neues Hindernis.
»Gut, gehen wir aus«, sagte er bereitwillig. »Wohin wollen wir gehen? Ins Kino?
Da wird ein Film von Paulette Goddard gezeigt.«
»Kino?« Julius sah beleidigt an seinem
Marengojackett herunter. Im Kino kam so etwas nicht zur Geltung, da war es
dunkel.
»Gut, Julius. Gehen wir essen. Gut essen,
erstklassig essen! Mit einer Vorspeise! Gehackte Hühnerleber und hinterher als
Dessert Pfirsich Melba. Wohin du willst.«
»Ins Voisin«, sagte Julius entschlossen.
Lowy senior schluckte einen Moment. »Gut,
also ins Voisin.« Er wandte sich an mich. »Herr Ross, gehen Sie mit. Sie sind
ja ohnehin schon festlich gekleidet. Was haben Sie in dem Paket?«
»Meinen alten Anzug.«
»Lassen Sie ihn hier. Wir holen ihn später
ab.«
***
Ich kam ungefähr um
zehn Uhr zurück ins Hotel. »Ein Paket ist für dich angekommen«, sagte Melikow.
»Scheint eine Flasche zu sein.«
Ich packte es aus. »Mein Gott!« rief
Melikow. »Echter russischer Wodka!«
Ich suchte in der Verpackung herum. Kein
Wort war dabei. Nur die Flasche war da. »Hast du gesehen, daß die Flasche nicht
ganz voll ist?« fragte Melikow. »Das war nicht ich. Sie ist so gekommen.«
»Ich weiß«, erwiderte ich. »Zwei ziemlich
große Gläser fehlen. Wollen wir anfangen? Welch ein Tag!«
X.
I ch holte Kahn ab. Wir
waren zu einer Festlichkeit bei der Familie Vriesländer eingeladen. »Ungefähr
dasselbe wie früher eine Bar Mizwa, die ja der Konfirmation bei den
Protestanten entspricht«, erklärte Kahn. »Die Vriesländers sind vorgestern
eingebürgert worden.«
»So bald schon? Muß man nicht fünf Jahre
warten, bis man die ersten Papiere bekommt?«
»Die Vriesländers haben fünf Jahre
gewartet. Sie gehören zur ›smarten Welle‹. Sind schon vor dem Krieg nach
Amerika ausgewandert.«
»Wirklich smart«, sagte ich. »Warum sind
wir nicht auf die Idee gekommen?«
Die Vriesländers waren Leute, die Glück
gehabt hatten. Sie hatten einen Teil ihres Geldes schon vor der Nazi-Zeit in
Amerika angelegt. Der alte Herr hatte weder den Deutschen noch den Europäern
getraut. Er hatte, was er erübrigen konnte, in amerikanischen Aktien angelegt,
meistens in American Tel and Tel. Die waren im Laufe der Zeit ganz hübsch
gestiegen. Das einzige, was er versäumt hatte, war die Wahl der richtigen
Termine gewesen. Er hatte einen Teil seines Geldes in Amerika untergebracht,
aber nur den Teil, der im Geschäft nicht gebraucht
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