E.M. Remarque
wurde. Vriesländer hatte mit
Seide und Pelzen gehandelt, und er hatte geglaubt, daß er klug genug sei, alles
rasch zu verkaufen, wenn die Situation brenzlig würde. Aber die Situation wurde
zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nazis brenzlig. Die Darmstädter und
Nationalbank, eine der großen deutschen Banken, begann plötzlich zu wackeln.
Ein Sturm auf die Kassen begann. Die Deutschen hatten die furchtbare Inflation
von vor zehn Jahren nicht vergessen. Eine Billion Mark war damals auf vier
wirkliche Mark zusammengeschmolzen. Um einen Krach zu verhindern, schloß die
Regierung die Kassen und blockierte Überweisungen ins Ausland. So wollte sie
verhüten, daß die ganzen Markbestände in stabilere Währungen umgewandelt
würden. Es war eine demokratische Regierung – aber sie sprach damit, ohne
es zu wissen, das Todesurteil über zahllose Juden und Feinde der Nazipartei
aus. Die Blockade von 1931 wurde nie aufgehoben. Fast niemand konnte daher, als
die Nazis kamen, sein Geld ins Ausland retten. Man mußte entweder alles im
Stich lassen oder bei seinem Gelde bleiben und damit rechnen, umzukommen. In
Kreisen der nationalsozialistischen Partei wurde das als einer der besten
Scherze der Welt betrachtet.
Vriesländer zögerte damals. Er wollte nicht
alles im Stich lassen; außerdem verfiel er der sonderbaren Euphorie, der 1933
zahllose Juden verfielen, daß alles nur ein Übergang sei. Das Geschrei der
Heißsporne würde bald verstummen, wenn erst erreicht war, was man wollte: die
Macht, und eine ordentliche Regierung würde daraus hervorgehen. Ein paar Monate
würden zu überstehen sein, wie bei jedem Umsturz. Dann würde alles ruhiger
werden. Vriesländer war, bei all seinem geschäftlichen Mißtrauen, ein glühender
Patriot. Er traute den Nazis nicht; aber hatte man nicht noch den ehrwürdigen
Reichspräsidenten von Hindenburg, Feldmarschall und preußische Säule des
Rechtes und der Tugend?
Es dauerte einige Zeit, bis Vriesländer aus
seinem Traum erwachte. Es dauerte so lange, bis ein Gericht ihn aller möglichen
Untaten anklagte, von Betrügereien bis dazu, ein minderjähriges Lehrmädchen,
das er nie gesehen hatte, vergewaltigt zu haben. Mutter und Tochter schworen,
daß die Anklage zu Recht erhoben sei, nachdem der törichte Vriesländer einen
Erpressungsversuch der Mutter – sie wollte 50.000 Mark – entrüstet
und im Vertrauen auf die sprichwörtlich gerechte deutsche Justiz ab gelehnt
hatte. Vriesländer lernte rasch, einen zweiten Erpressungsversuch nahm er an.
Ein Kriminalsekretär, hinter dem ein höherer Parteiführer stand, suchte ihn
eines Abends auf. Der Erpressungsbetrag war höher, dafür sollte Vriesländer und
Familie die Gelegenheit gegeben werden, zu fliehen. An der holländischen Grenze
sollte ein Posten eingeweiht werden. Vriesländer glaubte nichts davon, er
verfluchte sich jeden Abend. Nachts verfluchte seine Frau ihn. Er unterschrieb
alles, was von ihm verlangt wurde. Das Unwahrscheinliche passierte. Vriesländer
und seine Familie wurden über die Grenze geschafft. Zuerst seine Frau und seine
Tochter. Als er eine Postkarte aus Arnheim erhielt, gab er den Rest seiner
Aktien her. Drei Tage später war auch er in Holland. Dann begann der zweite Akt
der Tragikomödie. Vriesländers Paß lief ab, ehe er um ein amerikanisches Visum
nachsuchen konnte. Er versuchte andere Papiere zu bekommen. Umsonst. Es gelang
ihm, eine gewisse Geldsumme aus Amerika zu bekommen. Dann hörte auch das auf.
Den Rest, und das war der weitaus größte Teil, hatte Vriesländer so festgelegt,
daß er ihm nur persönlich ausgehändigt werden
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