E.M. Remarque
zurück.
»Ravic ...«
Er machte sich vorsichtig los. »Komm«, sagte er. »Das ist
vergessen. Es ist sogar ein Segen. Es behütet uns davor, Rentiers der
Leidenschaft zu werden. Es hält uns die Liebe rein – sie bleibt eine Flamme –
und wird kein Kochherd für den Familienkohl. Geh jetzt und telefoniere.«
Sie nahm den Hörer
hoch. Er sah ihr zu, wie sie sprach. Im Anfang war sie nicht dabei; sie sah ihn
immer noch an, als würde er gleich verhaftet. Aber dann begann sie allmählich
ziemlich leicht und selbstverständlich zu lügen. Sie log sogar mehr hinzu, als
notwendig war. Ihr Gesicht belebte sich und zeigte die Schmerzen in der Brust,
die sie beschrieb. Ihre Stimme wurde müde und immer heiserer, und am Schluß
begann sie zu husten. Sie sah Ravic nicht mehr an; sie blickte vor sich hin und
war ganz hingegeben an ihre Rolle. Er beobachtete sie schweigend und trank dann
einen großen Schluck Calvados. Keine Komplexe, dachte er. Ein Spiegel, der
wunderbar spiegelt – aber nichts hält.
Joan legte das Telefon nieder und strich sich das Haar
zurück. »Sie haben alles geglaubt.«
»Du warst erstklassig.«
»Sie sagten, ich solle zu Bett bleiben. Und wenn es
morgen nicht vorbei sei, um Himmels willen auch.«
»Siehst du. Damit ist die Angelegenheit mit morgen auch
schon erledigt.«
»Ja«, sagte sie eine Sekunde finster. »Wenn man es so
nimmt.« Dann kam sie zu ihm herüber. »Du hast mich erschreckt, Ravic. Sag, daß
es nicht wahr ist. Du sagst oft Dinge nur so dahin. Sag, daß es nicht wahr ist.
Nicht so, wie du es gesagt hast.«
»Es ist nicht wahr.«
Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Es kann nicht wahr
sein. Ich will nicht wieder allein sein. Du mußt bei mir bleiben. Ich bin
nichts, wenn ich allein bin. Ich bin nichts ohne dich, Ravic.«
Ravic sah auf sie herunter. »Joan«, sagte er. »Manchmal
bist du die Tochter eines Portiers und manchmal Diana aus den Wäldern. Und
manchmal beides.«
Sie rührte sich nicht an seiner Schulter. »Was bin ich
jetzt?«
Er lächelte. »Diana mit dem silbernen Bogen. Unverwundbar
und tödlich.«
»Du solltest mir das öfters sagen.«
Ravic schwieg. Sie hatte nicht verstanden, was er gemeint
hatte. Es war auch nicht nötig. Sie nahm, was ihr paßte und wie es ihr paßte,
und kümmerte sich um weiter nichts. Aber war es nicht das gerade, was ihn
anzog? Wer wollte schon jemanden, der war wie man selbst? Und wer fragte nach
Moral in der Liebe? Das war eine Erfindung der Schwachen. Und der Klagegesang
der Opfer.
»Was denkst du?« fragte sie.
»Nichts.«
»Nichts?«
»Doch«, sagte er. »Wir werden ein paar Tage wegfahren,
Joan. Dahin, wo Sonne ist. Nach Cannes oder Antibes. Zum Teufel mit aller
Vorsicht! Zum Teufel auch mit allen Träumen von Dreizimmerwohnungen und dem
Geiergeschrei der Bürgerlichkeit! Das ist nichts für uns. Bist du nicht
Budapest und der Geruch blühender Kastanienalleen, nachts, wenn die ganze Welt
heiß und sommergierig mit dem Monde schläft? Du hast recht! Wir wollen heraus
aus der Dunkelheit und der Kälte und dem Regen! Wenigstens für ein paar Tage.«
Sie hatte sich rasch aufgerichtet und sah ihn an. »Meinst
du das wirklich?«
»Ja.«
»Aber – die Polizei ...«
»Zum Teufel mit der Polizei! Es ist drüben nicht
gefährlicher als hier. Touristenplätze werden nicht scharf kontrolliert.
Besonders nicht die guten Hotels. Warst du nie da?«
»Nein. Nie. Ich war nur in Italien und an der Adria. Wann
fahren wir?«
»In zwei, drei Wochen. Das ist die beste Zeit.«
»Haben wir denn Geld?«
»Wir haben etwas. In zwei Wochen werden wir genügend
haben.«
»Wir können in einer kleinen Pension wohnen.«
»Du gehörst in keine kleine Pension. Du gehörst in eine
Bude wie hier oder in ein erstklassiges Hotel. Wir werden im Caphotel in
Antibes wohnen. Solche Hotels sind völlig sicher, und niemand verlangt
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