E.M. Remarque
»Dahin vielleicht?« Er deutete
mit seinem Kopf rückwärts, hinunter, wo sich die Seine in grauem, verfließendem
Glanz ruhelos gegen die Brückenschatten der Pont de l’Alma schob.
Die Frau antwortete nicht.
»Zu früh«, sagte Ravic. »Zu früh und viel zu kalt im
November.«
Er zog ein Päckchen Zigaretten hervor und kramte in
seinen Taschen nach Streichhölzern. Er fand, daß nur noch zwei in dem schmalen
Karton waren, und beugte sich vorsichtig nieder, um die Flamme mit den Händen
gegen den leichten Wind vom Fluß zu schützen.
»Geben Sie mir auch eine Zigarette«, sagte die Frau mit
tonloser Stimme.
Ravic richtete sich
auf und zeigte ihr das Päckchen. »Algerische. Schwarzer Tabak der
Fremdenlegion. Wahrscheinlich zu stark für Sie. Ich habe keine anderen bei
mir.«
Die Frau schüttelte
den Kopf und nahm eine Zigarette. Ravic hielt ihr das brennende Streichholz
hin. Sie rauchte hastig, mit tiefen Zügen. Ravic warf das Streichholz über das
Geländer. Es fiel wie eine kleine Sternschnuppe durch das Dunkel und erlosch
erst, als es das Wasser erreichte.
Ein Taxi kam langsam über die Brücke gefahren. Der
Chauffeur hielt an. Er blickte herüber und wartete einen Augenblick; dann gab
er Gas und fuhr weiter die feuchte, schwarz glänzende Avenue George V. hinauf.
Ravic fühlte plötzlich,
daß er müde war. Er hatte den Tag über schwer gearbeitet und nicht schlafen
können. Deshalb war er wieder fortgegangen, um zu trinken. Jetzt aber, auf
einmal, fiel die Müdigkeit in der nassen Kühle der späten Nacht über seinen
Kopf wie ein Sack.
Er sah die Frau an. Weshalb hatte er sie eigentlich
angehalten? Es war etwas mit ihr los, das war klar. Aber was ging es ihn an? Er
hatte schon viele Frauen gesehen, mit denen etwas los war, besonders nachts,
besonders in Paris, und es war ihm jetzt egal, und er wollte nur noch ein paar
Stunden schlafen.
»Gehen Sie nach Hause«, sagte er. »Was suchen Sie um
diese Zeit noch auf der Straße? Sie können höchstens Unannehmlichkeiten haben.«
Er schlug seinen Mantelkragen hoch und wandte sich zum
Gehen. Die Frau sah ihn an, als verstände sie ihn nicht. »Nach Hause?«
wiederholte sie.
Ravic zuckte die
Achseln. »Nach Hause, in Ihre Wohnung, ins Hotel, nennen Sie es, wie Sie
wollen. Irgendwohin. Sie wollen doch nicht von der Polizei aufgegriffen
werden?«
»Ins Hotel! Mein Gott!« sagte die Frau.
Ravic blieb stehen. Wieder einmal jemand, der nicht
wußte, wohin er sollte, dachte er. Er hätte es voraussehen können. Es war immer
dasselbe. Nachts wußten sie nicht, wohin sie sollten, und am nächsten Morgen
waren sie verschwunden, ehe man erwachte. Dann wußten sie wohin. Die alte,
billige Verzweiflung der Dunkelheit, die mit ihr kam und ging. Er warf seine
Zigarette fort. Als ob er das nicht selbst bis zum Überdruß kannte!
»Kommen Sie, wir gehen irgendwo noch einen Schnaps trinken«,
sagte er.
Es war das einfachste. Er konnte dann zahlen und
aufbrechen, und sie konnte sehen, was sie machte.
Die Frau machte eine unsichere Bewegung und stolperte.
Ravic ergriff ihren Arm. »Müde?« fragte er.
»Ich weiß nicht. Ich glaube ja.«
»Zu müde, um schlafen zu können?«
Sie nickte.
»Das gibt es. Kommen
Sie nur. Ich halte Sie schon.«
Sie gingen die Avenue Marceau hinauf. Ravic fühlte, wie
die Frau sich auf ihn stützte, sie stützte sich, als wäre sie im Fallen und
müßte sich halten.
Sie gingen die Avenue Pierre I. de Serbie. Hinter der
Kreuzung der Rue Chaillot öffnete sich die Straße, und fern, schwebend und
dunkel, erschien vor dem regnerischen Himmel die Masse des Arc de Triomphe.
Ravic deutete auf einen schmalen, erhellten Eingang, der
in ein Kellerloch führte. »Hier – da wird es schon noch etwas geben.«
Es war eine Chauffeurkneipe. Ein paar Taxichauffeure
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