E.M. Remarque
Feststellung
sein, wenn du gehst. Du wirst mir erklären, ich habe dich verlassen. Und du
wirst Gründe dafür haben – und es glauben –, und du wirst recht haben vor dem
ältesten Gerichtshof der Welt: Natur.«
Er winkte dem Kellner. »Können wir diese Flasche Calvados
kaufen?«
»Sie wollen Sie mitnehmen?«
»Exakt.«
»Mein Herr, das ist gegen unsere Grundsätze. Wir
verkaufen keine Flaschen.«
»Fragen Sie den Patron.«
Der Kellner kam mit einer Zeitung zurück. Es war der
»Paris Soir«. »Der Wirt will eine Ausnahme machen«, erklärte er, drückte den
Korken fest ein und wickelte die Flasche in den »Paris Soir«, nachdem er die
Sportbeilage herausgenommen, zusammengefaltet und in die Tasche gesteckt
hatte. »Hier, mein Herr.
Lagern Sie ihn dunkel und kühl. Er stammt vom Gut des
Großvaters unseres Patrons.«
»Gut.« Ravic zahlte. Er nahm die Flasche und sah sie an.
»Sonnenschein, auf Äpfeln einen heißen Sommer und einen blauen Herbst lang
gelegen in einem windverwehten, alten Obstgarten der Normandie, komm mit uns.
Wir brauchen dich. Es stürmt irgendwo im Universum.«
Sie traten auf die Straße. Es hatte angefangen zu regnen.
Joan blieb stehen. »Ravic! Liebst du mich?«
»Ja, Joan. Mehr als du glaubst.«
Sie lehnte sich an ihn. »Es sieht manchmal nicht so aus.«
»Im Gegenteil. Ich würde dir sonst solche Dinge nie
erzählen.«
»Du solltest mir lieber andere erzählen.«
Er sah in den Regen und lächelte. »Liebe ist kein Teich,
in dem man sich immer spiegeln kann, Joan. Sie hat Ebbe und Flut. Und Wracks
und versunkene Städte und Oktopusse und Stürme und Goldkisten und Perlen. Aber
die Perlen liegen tief.«
»Davon weiß ich nichts. Liebe ist Zusammengehören. Für
immer.«
Für immer, dachte er.
Das alte Kindermärchen.
Wenn man nicht einmal die Minute halten kann!
Joan knöpfte ihren Mantel zu. »Ich wollte, es wäre
Sommer«, sagte sie. »Ich habe es noch nie so gewollt wie in diesem Jahr.«
Sie nahm ihr schwarzes Abendkleid aus dem Schrank und
warf es auf das Bett. »Wie ich das manchmal hasse. Dieses ewige schwarze Kleid!
Diese ewige Scheherazade! Immer dasselbe! Immer dasselbe!«
Ravic blickte auf. Er sagte nichts.
»Verstehst du das nicht?« fragte sie.
»O ja ...«
»Warum nimmst du mich nicht da weg, Liebster?«
»Wohin?«
»Irgendwohin! Irgendwohin!«
Ravic wickelte die Flasche Calvados aus und zog den
Pfropfen heraus. Dann holte er ein Glas und goß es voll. »Komm«, sagte er.
»Trink das.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es nützt nichts. Manchmal nützt
es nicht, zu trinken. Manchmal nützt alles nicht. Ich will heute abend nicht
dahin gehen, zu diesen Idioten.«
»Bleib hier.«
»Und dann?«
»Telefoniere, du seist krank.«
»Dann muß ich morgen trotzdem hin, und das ist noch
schlimmer.«
»Du kannst für ein paar Tage krank sein.«
»Das bleibt dasselbe.« Sie sah ihn an. »Was ist das nur?
Was ist das nur mit mir, Liebster? Ist es der Regen? Ist es die nasse
Dunkelheit? Manchmal ist es wie ein Sarg, in dem man liegt. Die grauen
Nachmittage, in denen man ertrinkt. Ich hatte es vergessen vorhin, ich war
glücklich mit dir in dem kleinen Restaurant – warum mußtest du über Verlassen
und Verlassenwerden sprechen? Ich will nichts davon wissen und will nichts
davon hören! Es macht mich traurig, es hält mir Bilder hin, die ich nicht sehen
will, und es macht mich unruhig. Ich weiß, du meinst es nicht so, aber es
trifft mich. Es trifft mich, und dann kommt der Regen und die Dunkelheit. Du
kennst das nicht. Du bist stark.«
»Stark?« wiederholte Ravic.
»Ja.«
»Woher weißt du das?«
»Du hast keine Angst.«
»Ich habe schon keine Angst mehr. Das ist nicht dasselbe,
Joan.«
Sie hörte nicht, was er sagte. Sie ging auf und ab mit
ihren langen Schritten, für die der Raum zu klein war. Sie geht immer, als
ginge sie gegen den Wind, dachte Ravic. »Ich
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